…Einen Augenblick lang herrscht Stille im Zelt – dann – endlich – der erste Ton! Der sphärische Sopran von Nadja Michael füllt den Raum, lässt ihn größer – weiter – lichter werden und ihre Gestalt erscheint – in einen schwarzen Mantel gehüllt, schreitet sie den Laufsteg entlang – von ihrer Stimme getragen und von einer fünfzehn Meter langen Schleppe. Countertenor Felix Räuber setzt ein und der Klang der Stimmen schwillt an – wie ein Herzklopfen, das stärker wird, pulsiert und pocht. In einem weißen Mantel und gefolgt von abermals fünfzehn Metern Schleppe schreitet er Nadja Michael entgegen.
Esther Perbandt hat am 08.07.15 zum zweiten Mal im Zelt der Mercedes Benz Fashionweek ihre neuen Entwürfe gezeigt. Esther Perbandts Schauen bestechen durch artifiziellen Anspruch in der Inszenierung, Intellektualität und höchstes, handwerkliches Können in den gezeigten Kollektionen.
Für TEARS FOR THE IMPATIENT führte sie ihr Weg mit dem Komponisten Sven Helbig zusammen und aus dem Hin und Her ihrer Gedanken und Ideen entstand eine Inszenierung von beeindruckender Dichte.

Sven Helbigs Komposition beginnt im düsteren Glanz des Abgründigen, Dunklen über dem glockenhell die Stimmen von Sopranistin Nadja Michael und Countertenor Felix Räuber (ehem. Polarkreis 18) schweben – flirrend funkeln – sich im Raum auflösen – ihn erleuchten.
Am Ende der Show wird die Designerin selbst zum Zentrum – als mühelose Verkörperung ihrer Vision von sensibler Modernität leiht sie ihr zum Abschluss ihre Stimme.

 

In einer Träne friert die Zeit
Kristall aus tausend Dimensionen
Senkt sich ins Feuer der Unendlichkeit
haucht sich ihr ein
verliert sich ganz
wird ohnmächtig geboren

Esther Perbandt zeigt mit TEARS FOR THE IMPATIENT eine Kollektion, die der Designerin unglaublich nah kommt. Sie umspielt verschiedene Tempi, die sie beherrschen, thematisiert das ungeduldige Aushalten von Langsamkeit, das Sich-Einlassen auf Prozesse, die ihren eigenen Rhythmus haben und vielleicht gerade in ihrer Dauer so schmerzhaft und heilsam zugleich sind.
Am Anfang formt sich ein Bild gedanklicher Freiheit radikaler Avantgarde und materieller Sinnlichkeit guten Handwerks. Die Wiener Schule als Sinnbild taucht als Inspiration auf, ohne den Kreationen ihre Formen zu leihen – bleibt sie in denen doch radikal dekonstruktiv, brüchig aber handwerklich genau.
Die neue Kollektion ist konsequent auf die beiden Nichtfarben schwarz und weiß reduziert. Es beginnt in tiefem, reinen Schwarz dem im zweiten Showblock ein klares Weiß entgegentritt, um sich dann zu öffnen und zu Schwarz-Weiß-Kombinationen zu layern. Esther Perbandts Entwürfe zeigen deutlich ihre Liebe zum traditionellen Schneiderhandwerk, dessen Formen sie dekonstruiert, zerstört und neu zusammensetzt. Und damit auf ganz einzigartige Weise gerade diese Handwerklichkeit betont und neu erfahrbar macht. Die Eigenwilligkeit der Form nimmt dabei den Körper schnitttechnisch ernst und schenkt ihm eine unverwechselbare Hülle ohne ihn auszustellen. Auch ihre neueste Kollektion besticht durch den Fokus auf die Materialität. Hochfein gewebte Baumwolle reibt sich an festem Denim. Weich fallende Wolle und schwere Baumwoll-Jerseys werden bearbeitet und erhalten so neue haptische Qualitäten. Esther Perbandts Kollektion ist ein kluges, klares Statement für eine intellektuelle Modernität beider Geschlechter, die den kleidgewordenen Rahmen für authentische Persönlichkeiten bildet.
Die außergewöhnliche Inszenierung zeigt einmal mehr Esther Perbandts Fähigkeit, KünstlerInnen wie Nadja Michael, Sven Helbig oder Felix Räuber außerhalb ihres Genres für ihre Vision zu begeistern und in einem inspirierenden Prozess zusammenzubringen. Sie ist dankbar für die unglaubliche Bereicherung ihrer eigenen kreativen Arbeit. Aus der wunderbaren Zusammenarbeit mit Nadja Michael entstand dann auch ein weiterführendes Engagement Esther Perbandts für Nadja Michaels Verein „Stimme für die Menschlichkeit e.V.“ – hier werden mit Sicherheit in nächster Zeit weitere gemeinsame Projekte.

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Von admin

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