Der Fastenmonat Ramadan ist eine besondere Zeit für Musliminnen und Muslime. „Diese Zeit ist mehr als der Verzicht auf Essen und Trinken“, sagt Kadir Sanci, Imam und Vorsitzender des Stiftungsrats des House of One am Dienstagabend im Roten Rathaus, wohin das Mehrreligionenhaus fast 100 Gäste aus Gesellschaft, Religion und Politik geladen hatte. „In diesen Tagen geht es vor allem um das Miteinander und die Nächstenliebe. Diese drückt sich nicht zuletzt in dem gemeinsamen Fastenbrechen mit unseren jüdischen, christlichen, andersgläubigen oder nicht gläubigen Freundinnen und Freunden aus. Denn bei allen Unterschieden sind wir in erster Linie Menschen.“

 

Giffey: „Idee von Vielfalt, Toleranz und Freiheit“

 

Diesen Gedanken der Toleranz griff Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin und Kuratoriumsvorsitzende des House of One, auf: „Es ist eine besondere Zusammenkunft hier, nicht nur der unterschiedlichen Vertreterinnen und Vertreter der Religionen in unserer Stadt, sondern der Gesellschaft, der Wirtschaft, auch der säkularen Stadtgesellschaft, die alle von dieser Idee des House of One fasziniert sind, von einer Idee der Vielfalt, Toleranz, Freiheit und einem friedlichen Miteinander.“

Giffey erzählte, wie sie am ersten Tag in ihrem Büro im Roten Rathaus ein kleines Holzmodell des House of One auf dem Schreibtisch vorfand. Es erinnere sie nun jeden Tag an die große Vision, die das Team des House of One seit über zehn Jahren gemeinsam gestalte. „Es ist beeindruckend, dass Sie ein Haus mit Leben füllen, dass es noch gar nicht gibt, dass Sie Menschen zusammenbringen“, sagte die Regierende. „Wie unfassbar stark muss das Haus erst sein, wenn man sich wirklich dort treffen kann.“ Ein solches Projekt sei in einem freien, friedlichen, demokratischen Land wie Deutschland möglich. „Das zu bewahren ist unsere Aufgabe“, mahnte Giffey. Gerade im Angesicht des Angriffskrieg in der Ukraine und der vielen Menschen, die in Deutschland Schutz und Hilfe suchten, gewinne diese Freiheit besondere Bedeutung.

 

Welche Rolle spielt Religion in unserer Gesellschaft?

 

Die Situation in der Ukraine und das Leid der Menschen dort zog sich thematisch durch den Abend. Aydan Özoguz, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, sagte: „Während wir das House of One beobachten, wie es sich langsam bildet und mit Liebe füllt, können wir auch darüber reden, welche Rolle Religionen und Religionsgemeinschaften in unserer Gesellschaft haben.“ Diese ist aus Özoguz Sicht nicht immer eine gute. So gebe es im aktuellen Krieg eine Religion, einen Patriarchen, der den Angriffskrieg rechtfertigt. Das zeige, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Man müsse darum ringen. Im säkularen Deutschland gehe man einen guten Weg. Jede Weltanschauung, ob religiös oder nicht religiös, habe zunächst ihre Berechtigung. „Wer religiös ist, soll das nicht verstecken müssen.“ Die Kunst des Zusammenlebens von Menschen bestünde aus einer Mischung von Wissen übereinander und unabhängig davon von gegenseitigem Respekt. „Was würde das besser symbolisieren als das House of One.“

 

Die Beschränkung von Macht, „die Mechanismen des Machtfastens“, wie Pfarrer Gregor Hohberg sie nennt, sind dabei unverzichtbar. Diese Mechanismen tun auch den Religionen gut – und würden doch viel zu oft missachtet. „Wenn sie die Weisheit, die im Fasten steckt, ernst nehmen, dann folgt daraus: Keine weltliche Macht den Religionen oder Kirchen. Keine!“, mahnte der Geistliche. Das House of One versuche das zu beherzigen. „Schon, dass sich hier drei Gemeinden von sonst oft konkurrierenden Religionen ein Haus teilen, bedeutet eine Selbstbegrenzung von Einfluss und Macht. Es bedeutet, dass wir stärker an Frieden und Verständigung glauben als an Macht.“

Dem Frieden Raum geben

 

Diesen Verzicht auf Macht beschreibt Rabbiner Andreas Nachama anschaulich mit einer jüdischen Tradition. Am Ende des Kaddisch, eines wichtigen Gebets im Judentum, geht es in der letzten Strophe immer um Frieden. Wer diese Zeile betet, soll drei Schritt zurücktreten. „Man geht zurück, um dem Frieden Raum zu geben, um die eigene Position zu verlassen, um den Anderen Raum zu geben“, erklärt Nachama den Gedanken dahinter. Das sei umso wichtiger in einer Zeit, in der die Gefahr eines Weltkrieges drohe und alles getan werden müsse, den Frieden zu erhalten.  „Frieden durch Zurücktreten, das ist der Fortschritt, an dem wir bauen.“

 

„Die einen nenne es Nächstenliebe, die anderen Solidarität“

 

Das Verbindende des Abends, wie auch insgesamt der Arbeit des House of One kam in den Beiträgen immer wieder zum Ausdruck. Im Fasten findet es sich symbolisch wieder: Nicht nur Musliminnen und Muslime fasten, auch christliche Gläubige üben aktuell Verzicht in der Zeit vor Ostern und zu Jom Kippur ist die jüdische Fastenzeit. Gerry Woop, Staatssekretär für Religion und Europa, weist auch auf die Menschen hin, die keiner Religionsgemeinschaft angehören und ebenfalls bewusst Verzicht üben, zum Beispiel mit Heilfasten. „Das selbstgewählte Fasten ist auch ein Ausdruck von Demut und Hingabe“, sagte der Politiker, der das House of One seit vielen Jahren begleitet. Diese wird auch genutzt, um Menschen in Not zu helfen, wie denen, die gerade in großer Zahl nach Berlin fliehen. „Die einen nennen es Nächstenliebe, die anderen Solidarität“, geht Woop auf das Verbindende zwischen religiösen und nicht-religiösen Menschen ein. „Oder in den Worten von Imam Sanci: Wir sind Geschwister der Menschlichkeit.“

 

 

Zu den den Gästen zählten unter anderen Düzen Tekkal, Menschenrechtlerin und Gründerin der Hilfsorganisation Hawar Help, Hamideh Mohagheghi, Mitgründerin des Haus der Religionen in Hannover, Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Hetty Berg, Direktorin des Jüdischen Museums Berlin oder Altbischof Markus Dröge.

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