Für Lufthansa kam der entscheidende Tag der Wende in Deutschland und Europa erst ein Jahr nach dem Mauerfall, drei Wochen nach dem offiziellen Wiedervereinigungsdatum: Mit dem Start des Winterflugplans 1990/91 durfte die Deutsche Lufthansa, der seit ihrer Wiedergründung 1955 aufgrund alliierter Bestimmungen die Flugrouten in die alte Hauptstadt verwehrt waren, den regulären Linienverkehr von und nach Berlin aufnehmen. Der 28. Oktober 1990 war für Lufthansa und die Luftfahrt in Deutschland zweifellos ein Tag, für den die Bezeichnung „historisch“ nicht zu hoch gegriffen ist.

Mit der „Aufnahme des regulären Linienflugverkehrs nach Berlin durch Lufthansa und zahlreiche andere Luftverkehrsgesellschaften“, schrieb die Fachzeitschrift „aerokurier“ im November 1990, „ist nun in Deutschland die Nachkriegszeit endgültig zu Ende gegangen.“ Und die Kollegen vom englischen „Airline Business“ betitelten einen Bericht zur „Zeitenwende“ im Berlin-Verkehr mit den Worten: „Lufthansa takes Berlin“. Weniger martialisch, dafür in typisch Berliner Bildersprache brachte der damalige Verkehrssenator Horst Wagner das Ereignis auf den Punkt: „Der Kranich ist in sein Nest zurückgekehrt.“

 

„Der Kranich ist in sein Nest zurückgekehrt“
Vor 25 Jahren erhielt Lufthansa die Startfreigabe für Berlin

Besonderes Verhältnis der Berliner zur Fliegerei

„Ich als Berlinerin hätte nie gedacht, dass ein Flug der Lufthansa nach Tegel noch zu meinen Lebzeiten Wirklichkeit wird“, bekannte überglücklich Flugbegleiterin Martina Zerell, die das Privileg hatte, schon am 2. Oktober auf einem LH-Sonderflug Abgeordnete des Deutschen Bundestages zur ersten Sitzung des gesamtdeutschen Parlaments nach Berlin zu begleiten. „Ich denke, kein Westdeutscher kann sich vorstellen, was das für Berlin und die Berliner bedeutet.“

Das ganz besondere Verhältnis der Berliner zur Fliegerei reicht zurück bis in die Kindertage der Luftfahrt. Die Flugversuche Otto Lilienthals in Lichterfelde, die Gründung der „Luft Hansa“ (so die damalige Schreibweise) 1926 im Hotel Kaiserhof am Wilhelmplatz, die mit ihr eng verbundene Blütezeit des Flughafens Tempelhof als europäisches Drehkreuz der 20er und 30er Jahre und last but not least die für West-Berlin lebensrettende Luftbrücke von 1948/49 – zu Berlins jüngerer Geschichte hat die Luftfahrt zahlreiche wichtige und prägende Kapitel beigetragen.

Umgekehrt bekannte sich die Lufthansa – nicht nur in Sonntagsreden – zu ihren Berliner Wurzeln und Traditionen, auch wenn sie Mitte der 50er Jahre aufgrund des Berliner Alliiertenstatus in Köln und nicht in Berlin neu gegründet wurde. Mehr von Nostalgie als von wirklichem Geschäft geprägt war die Situation der Lufthansa vor dem Hintergrund der harten Nachkriegs-Realität: Der „Kranich“ hatte Landeverbot an der Spree, doch einige Dutzend Mitarbeiter der Verkaufsabteilungen von Passage und Cargo hielten im einge-mauerten West-Berlin mühsam das Lufthansa-Fähnchen hoch. Und auch der damalige Vorstandsvorsitzende Heinz Ruhnau ahnte wohl nicht, wie bald sich seine Prophezeiung erfüllen würde, als er 1984 bei der ersten Lufthansa Hauptversammlung in Berlin versicherte: „Es wird der Tag kommen, an dem wir wieder in ein ungeteiltes Berlin fliegen.“

Enthusiasmus und Pioniergeist

Als am 28. Oktober 1990 der reguläre Linienverkehr der Lufthansa und anderer Airlines in das wiedervereinigte Berlin begann, gab es keine belastbaren Grundlagen für die Flug- und Einsatzplanung. Wie würde sich die Nachfrage nach Geschäfts- und Privatreise-Verbindungen nach Berlin entwickeln, einer Stadt, die jetzt auch auf dem Landweg ohne schikanöse Grenzkontrollen erreichbar war? Würde Berlin aus dem Stand heraus eine Sogwirkung auch auf ausländische Geschäfts- und Privatreisende ausüben? Wie würden die West-Berliner auf die Erhöhung der Flugpreise reagieren, die durch den Wegfall der Bonner Subventionen unvermeidlich war? Welches Flugreise-Potenzial war im Gebiet der früheren DDR zu erwarten, wo der Luftverkehr zuvor weitestgehend aus staatlich geförderten Funktionärsreisen bestanden hatte?

Niemand konnte diese Fragen auch nur annähernd zuverlässig beantworten. Doch die allgemeine Vereinigungs-Euphorie, gepaart mit viel Enthusiasmus und Pioniergeist angesichts der neuen, großen Aufbauarbeit, ließ große Erwartungen und Hoffnungen keimen. „Berlin könnte größeres Drehkreuz für den Luftverkehr in Europa werden“, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Dezember 1990. Auch die Berliner Morgenpost sah Berlin schon als Luftverkehrsdrehkreuz, freilich nicht nur für den Europaverkehr, sondern auch mit zahlreichen interkontinentalen Verbindungen: „In den Startlöchern sitzen bereits Fluggesellschaften aus aller Welt, die sich das Riesengeschäft mit Flugverbindungen in die Millionen-Metropole Berlin nicht entgehen lassen wollen.“

Viele dieser Airlines kamen allerdings nie aus den vorgeblichen Startlöchern heraus, und manch eine war schnell wieder weg. Denn die Realitäten im Berlin-Verkehr waren teils ernüchternd: Die Nachfrage im Ostteil der Stadt, insbesondere, was Geschäftsreisen anging, war mehr als bescheiden, und der Geschäftsreise-Verkehr zwischen dem alten Bundesgebiet und Berlin war auf Jahre hinaus geprägt von vielen Pendlern – montags morgens nach Berlin, freitags nachmittags zurück zu Frau und Kind in Köln/Bonn, Frankfurt oder Stuttgart. Für Lufthansa hieß das unterm Strich: Niedrige Auslastung und ebenso niedrige Erträge.

Doch die Lufthansa – einst in Berlin geboren – war gekommen, um auf Dauer zu bleiben und zu wachsen. Sie unternahm größte Anstrengungen, um den neuen, gewaltigen Auf-gaben im Osten Deutschlands gerecht zu werden. Eine ganze Jet-Flotte samt Crews wurde „umdirigiert“, um die fast 400 wöchentlichen Flugverbindungen bereedern zu kön-nen, die Lufthansa schon in der ersten Flugplanperiode auf den Berlin-Strecken anbot.
Ein komplett neues Verkaufs-, Reservierungs- und Stationsteam musste in kürzester Zeit aufgebaut werden, zusammengeschmiedet aus Alt-Lufthanseaten, ehemaligen Mitar-beitern der PanAm und der DDR-Fluglinie Interflug sowie neu angeworbenen Kräften.

„Alles, was Flügel hatte“, flog

Der erste Berlin-Flugplan der Lufthansa – 45 Jahre nach ihrer Wiedergründung – gilt unter Experten als ausgesprochen mutig, enthält er doch 386 innerdeutsche und internationale Flugverbindungen pro Woche. Lufthansa verbindet darin die Bundeshauptstadt direkt mit acht deutschen und zwölf europäischen Städten. Selbst zwei interkontinentale Destinationen – New York und Tokio – fehlen nicht im Flugplan.
Geflogen wird zunächst „mit allem was Flügel hat“: Boeing-737-Jets der Lufthansa kommen ebenso zum Einsatz wie Propellermaschinen der DLT (später in Lufthansa CityLine umbenannt) oder Boeing 727 der PanAm, deren Dienste Lufthansa hinzugekauft hatte. Im Auftrag der Lufthansa bediente anfangs sogar eine russische Tupolew TU 134 der Interflug die Strecke Berlin – Moskau. Die betagten Jets hat Lufthansa allerdings schnellstens von den Berlin-Strecken verbannt: Der Hauptstadt-Verkehr wurde in nur sechs Monaten auf modernes, emissionsärmeres Fluggerät umgestellt.
Allerdings erweisen sich viele hochfliegenden Erwartungen schon bald als allzu optimistisch; sie müssen nach unten korrigiert und an die harten wirtschaftlichen Realitäten angepasst werden. Etliche der mit erheblichem unternehmerischem Risiko, aber zwangs-läufig ohne gründliche Marktanalyse eingerichteten Linienverbindungen müssen in den folgenden Flugplanperioden wieder eingestellt werden, weil schlicht die Nachfrage fehlt.

Das Potenzial des Berliner Marktes – insbesondere des Geschäftsreisemarktes – war in der Anfangseuphorie überschätzt worden. Auch die Prognose von Lufthansa-Chef Heinz Ruhnau – „Berlin wird nun sehr schnell eine ganz normale große Drehscheibe des Luftverkehrs“ – erweist sich in der Folgezeit als zu optimistisch, nicht zuletzt, weil der Bau des schon 1990/91 geplanten neuen Single-Airports für Berlin noch Jahrzehnte auf sich warten lässt. Derzeit geplanter Eröffnungstermin: Ende 2017.
Niederlassungen aller Geschäftsfelder
Dennoch bleibt der Kranich seinem Berliner Nest treu. Gleich nach der Wende eröffnen so gut wie alle Geschäftsfelder des Lufthansa Konzerns Niederlassungen an der Spree. Von den Wartungszentren der Lufthansa Technik in Schönefeld und Tegel und dem deutsch-kanadischen Joint Venture LBAS (Lufthansa Bombardier Aviation Services), dem Wartungszentrum für Bombardier-Business Jets aus ganz Europa, Nahost und Afrika, bis zum Headquarter des weltweiten Service Center-Netzes der Lufthansa in Tempelhof, von den Software-Entwicklern der Lufthansa Systems in Charlottenburg bis zum von Piloten aus ganz Europa und Übersee genutzten Simulatorzentrum der Lufthansa Flight Training – mit mittlerweile zwölf Vollflugsimulatoren – am Rande des künftigen Hauptstadtflughafens BER ist der Lufthansa Konzern heute mit seiner kompletten Dienstleistungspalette in Berlin engagiert.
„Lufthansa hat seit 1990 rund 900 Millionen Euro in die Entwicklung des Luftfahrtstand-ortes Berlin-Brandenburg investiert“, unterstreicht Thomas Kropp, Bevollmächtigter des Lufthansa-Vorstands für Berlin, „und seien Sie versichert: Unser Engagement in der Hauptstadtregion wird nicht nachlassen – im Gegenteil: Der Lufthansa-Konzern wird in Berlin-Brandenburg auch in Zukunft eine wichtige und weiter wachsende Rolle einnehmen.“
Schon derzeit kann sich das Engagement mehr als sehen lassen: In rund 20 Tochter- und Konzerngesellschaften beschäftigt Lufthansa an der Spree heute mehr als 3100 Mitarbeiter. „Damit“, so betont Thomas Kropp, „ist die Lufthansa Group in der Hauptstadtregion stärker aufgestellt als jedes andere Luftfahrtunternehmen und zählt längst zu den größten privaten Arbeitgebern in Berlin/Brandenburg. Und Lufthansa hat in den vergangenen 20 Jahren hier in Berlin mehr Arbeitsplätze neu geschaffen als jedes andere DAX-30-Unternehmen.“
Alle Lufthansa Airlines fliegen auf Berlin
Auch im Kerngeschäft ist Lufthansa in Berlin sehr breit aufgestellt. Heute wie gestern gilt: Alles, was in der Lufthansa Group Flügel hat, fliegt auf Berlin. Lufthansa, Swiss, Austrian Airlines, Brussels Airlines, Germanwings/Eurowings sowie Sun Express verbinden Berlin mehr als 600mal pro Woche mit über 40 Zielen in Europa und darüber hinaus – und über die Hubs in Frankfurt, München, Wien, Zürich und Brüssel, gemeinsam mit ihren vielen Partnern der Star Alliance, mit der ganzen Welt: Mit nur einem einzigen Umstieg erreichen Fluggäste der Lufthansa Group ab Berlin weit über 100 außereuropäische Zielorte!
Schon im neuen Winterflugplan, der am 25 Oktober beginnt, kommen etliche neue attraktive Flugziele hinzu. Das Service Center von Lufthansa InTouch, vor 15 Jahren mit knapp 50 Mitarbeitern in Schönefeld gegründet und fünf Jahre später aus Kapazitäts-gründen nach Adlershof umgezogen, hat kürzlich erneut den Standort gewechselt – nach Tempelhof, in den Stadtteil, in dem vor knapp 90 Jahren alles begann. Der Grund: das Headquarter des weltweiten Service Center-Netzes der Lufthansa zählt inzwischen knapp 500 Mitarbeiter, Tendenz: stark steigend. Und die Lufthansa Technik beschäftigt sich gerade intensiv mit neuen Vorhaben auf dem BER-Gelände. All dies zeigt: Das vor 25 Jahren, im Oktober 1990, quasi aus dem Nichts heraus gestartete starke Engagement der Lufthansa in Berlin zeigt weiter steil nach oben.

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Von admin

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