"Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus" geht 2014 an Kerstin Kohlenberg, Petra Pinzler und Wolfgang Uchatius (Die Zeit) +++ Jury ehrt das journalistische Lebenswerk von Mathias Greffrath mit "Spezial"-Preis +++ Bascha Mika, Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau (FR), hält Festrede +++ Jubiläums-Preisverleihung findet am 28. Oktober in Berlin statt +++
Den mit 10.000 Euro dotierten 1. Preis des "Otto Brenner Preises für kritischen Journalismus" erhalten 2014 Kerstin Kohlenberg, Petra Pinzler und Wolfgang Uchatius für ihren Beitrag "Im Namen des Geldes" (Die Zeit, Dossier vom 27. Februar 2014).
Als die Verhandlungen über die europäisch-amerikanische Freihandelszone (TTIP) starteten, versprachen die Regierungen Wachstum und Jobs. Erst nach und nach gab es erste Kritikpunkte und Hinweise auf mögliche Gefahren dieses großangelegten Liberalisierungs-projektes. Doch kaum jemand warnte vor den geplanten "Investitionsschutzklauseln". Die sollen amerikanischen Unternehmen künftig erlauben, europäische Staaten vor speziellen Schiedsgerichten zu verklagen – wenn Gesetze ihre Investitionen schmälern. Und wenn die Apologeten von politischen Großprojekten auf Widerstand treffen, dann zetteln sie gerne eine Propagandaschlacht an, die Verwirrung statt Aufklärung stiftet. So war es auch beim Streit um das geplante europäisch-amerikanische Deregulierungsabkommen TTIP. Den Autoren Kerstin Kohlenberg, Petra Pinzler und Wolfgang Uchatius ist es nach Einschätzung der OBS-Jury gelungen, "diese Strategie zu durchkreuzen". Ihre "hervorragend recherchierte Geschichte" über die geheimen Sondergerichte für Investoren lässt für die Jury keinen Zweifel, "dass die EU-Kommission und eine Heerschar Lobbyisten drauf und dran waren, eine undemokratische Paralleljustiz für Konzerne auf ganz Europa und Nordamerika auszudehnen". Wenn es nun doch nicht so kommen sollte, "ist das auch das Verdienst dieser Arbeit", schreibt die Jury in ihrer Begründung der Preisvergabe. Diese "spannende Geschic

 
Der 2. Preis (5.000 Euro) geht 2014 an die freien Autoren Jan Schmitt und Frank Konopatzki für die ARD-Dokumentation "Steuerfrei: Wie Konzerne Europas Kassen plündern" (ARD, Die Story im Ersten, 19. August 2013).
Die Beschäftigung mit komplizierten Wirtschafts- und Steuerfragen gilt vielen Programm-Machern als "Quotengift in höchster Dosis". Zumal wenn es auch um internationale Verflechtungen in rechtlichen Grauzonen geht. Der besondere publizistische Mehrwert des ARD-Features zur Billionen schweren Steuervermeidungsindustrie besteht nach Auffassung der Jury darin, "diesen Glaubenssatz der Programm-Verantwortlichen zu erschüttern". Den WDR-Autoren gelingt es, so die Jury in ihrer Preisbegründung, die gezielte Steuervermeidung von Konzernen im Verbund mit "duldsamen Politikern, cleveren Beratern und radikalen Lobbyisten Schritt für Schritt zu entziffern". Jan Schmitt und Frank Konopatzki beherrschen "die Kunst der Einfachheit, nutzen die Wirksamkeit klarer Aussagen von echten Experten und belegen, dass die Verantwortlichen die Steuerverluste des Staates durch ‚legale‘ Steuertricks der Konzerne in Höhe von einer Billion Euro jährlich in der EU tatenlos hinnehmen". Das komplexe, aber hoch relevante Thema wird "nachvollziehbar analysiert und überzeugend belegt". Die Jury lobt: "Ein Ausnahmestück in der Reihe ‚Die Story‘, und ein Dementi der selbstzufriedenen Chefredakteurs-Prosa".
Mit dem 3. Preis wird Sebastian Strube (Bayerischer Rundfunk) für sein Hörfunkfeature "Crowdwork. Vom Entstehen der digitalen Arbeiterklasse" (Bayern 2, "Zündfunk Generator", 12. Januar 2014) ausgezeichnet. Das Preisgeld beträgt 3.000 Euro.
Diese Stundensendung des Bayerischen Rundfunks aus der noch immer vitalen Reihe "Zündfunk" ist laut Jury "ein Musterfall von antizipatorischem Journalismus, weil sie aufzeigt, was kommt. Damit unsere Gesellschaft weiß, worauf sie sich – auch regulatorisch – einzurichten hat." Denn: Outsourcing war einmal, heute heißt die Devise Crowdsourcing. Arbeit wird nicht mehr nur in Billiglohnländer verlagert, sondern ins Netz. Die Sendung "Crowdwork. Vom Entstehen der digitalen Arbeiterklasse" zeigt, wie auch Büroarbeit dank Digitalisierung in unendlich kleine Arbeitsschritte zerlegt und von Menschen überall auf der Welt via Internet für Cent-Beträge abgearbeitet werden kann. Die Crowd – potentiell jeder, der über einen Internetanschluss verfügt – erledigt die Arbeit sehr schnell und vor allem superbillig. Mit weitreichenden Folgen: Crowdwork, so die These der Sendung, wird die Organisation von Arbeit in vielen Bereichen ebenso fundamental verändern wie die Erfindung des Fließbandes. Sebastian Strube hat Arbeitgeber und Arbeitnehmer dieser "Branche im Zwielicht" (Jury) getroffen und gesprochen, er wirft Blicke in die USA, wo er den kritischen Informatiker Six Silberman aufgetrieben hat, und er fragt, wie eine Interessenvertretung für die neue Arbeiterklasse aussehen könnte. Nach Auffassung der Jury hat Strube sein vielfältiges Material "auch akustisch klug kombiniert und überzeugt zusätzlich damit, dass er Rollenjournalismus betrieben, nämlich das Crowdworking an sich selbst ausprobiert hat". So kann der Hörer, wie die Jury herausstellt "miterleben, wie es ist, aus der Anonymität heraus sich Cent um Cent zu erarbeiten."
Der "Spezial"-Preis, dotiert mit 10.000 Euro, geht 2014 an den freien Journalisten Mathias Greffrath für "Der Aufstand der Satten" – ein im Deutschlandfunk gesendeter Essay "über einen sorgsamen Umgang mit Lebensmitteln und einen sanften Abschied vom Fleisch". Der Preis würdigt zugleich Greffraths journalistische Lebensleistung.
Für die Jury gehört Greffrath zu den wenigen Namen im deutschen Journalismus, "bei denen man sogleich zu lesen anfängt, wo immer er auch schreibt": le monde diplomatique, taz, GEO, Theater heute oder SZ. Greffrath wird als "ein gebildeter, ein beeindruckend kluger und begnadeter Journalist" geehrt und "als freier Geist" ausgezeichnet, dem es auch gelingt, aktuelle Themen gekonnt historisch einzuordnen. Nach Auffassung der OBS-Jury gehört er zudem "zu den profundesten Globalisierungskritikern deutscher Sprache". Die Jury sieht in Mathias Greffrath einen Nachfahren von Michael de Montaigne, dem großen Philosophen und Begründer der Essayistik. Man merkt den Texten an, so die Jury, dass er dessen Werke studiert und editiert hat: "Seine Texte heben sich ab von anderen Texten; sie heben ab und geben weiteren Überblick".
Den Newcomerpreis, dotiert mit 2.000 Euro, erhält Eva Achinger (Bayerischer Rundfunk) für "Black Box Psychiatrie", gesendet am 9. Februar 2014 in B5 aktuell – Der Funkstreifzug.
In forensischen Kliniken in Bayern müssen Patienten um ihre Rechte kämpfen, es herrscht Willkür ohne Kontrolle. Denn Fixierung, Sedierung und andere Zwangsmaßnahmen ersetzen Therapie. Eva Achinger hat hinter den "Mauern geschlossener Anstalten recherchiert und schreckliche Zustände protokolliert". Eine terra inkognita, wo "Überlastung, Sprachlosigkeit und Menschenverachtung sich verdichten und aus Patienten Opfer machen". Achinger ist es nach Auffassung der Jury gelungen, "ein Vertrauensverhältnis zu den Betroffenen aufzubauen und ihre grauenvollen Erlebnisse zu protokollieren". Die Jury lobt, dass ihr das "ohne Sensationalismus und Klischees" gelingt und dass die junge Autorin mit "klarer Sprache und Haltung" überzeugt. Der Radiobeitrag hat anschließend u.a. zu Diskussionen im Landtag geführt. "Journalismus mit Wirkung" – so die Jury in ihrer Begründung der Vergabe des Newcomerpreises an Eva Achinger.
Im Rahmen des Wettbewerbs zeichnet die Jury des Otto Brenner Preises auch innovative und wegweisende Medienprojekte aus. 2014 geht der "Medienprojektpreis", dotiert mit 2.000 Euro, an die österreichische Non-Profit-Plattform "Dossier".
Das "Dossier: Asyl" ist die erste umfassende journalistische Untersuchung der Lebensbedingungen von Asylsuchenden in Österreich. Von Juli bis September 2013 besuchte das Dossier-Team rund 100 Asylquartiere, legte knapp 10.000 Kilometer zurück, um herauszufinden, wie Schutzsuchende in Österreich leben. Die Ergebnisse sind auf einer interaktiven Karte aufbereitet. Methodik, Bewertungssystem und Rohdaten liegen offen. Die Jury lobt das "Dossier: Asyl" als ein journalistisches Projekt, wie man es sich "akribischer, profunder und nachhaltiger nicht wünschen kann". Das Internet-Projekt, das den Status quo des Flüchtlingsschutzes und des Flüchtlings-Nichtschutzes in Österreich "flächendeckend und nachvollziehbar" beschreibt, gewährt nach Auffassung der Jury "tiefe Einblicke in das tägliche Leben von Menschen, die Schutz suchen – und manchmal finden und sehr oft nicht." Dossier ist eine Non-Profit-Plattform, die Investigativ- und Datenjournalismus betreibt und fördert. Die Redakteurinnen und Redakteure greifen Themen von öffentlichem Interesse auf, recherchieren diese umfassend und stellen die Ergebnisse übersichtlich dar. Die Rechercheergebnisse können frei von anderen Medien übernommen werden. Das Projekt finanziert sich über Spenden, Stipendien, Preisgelder, Recherche- und Lehraufträge sowie über Kooperationen mit anderen Medien – auf Werbung und öffentliche Gelder wird bewusst verzichtet.
Neben diesen Preisen werden von der Otto Brenner Stiftung auch Recherche-Stipendien vergeben, die mit jeweils 5.000 Euro dotiert sind. Die Stipendien ermöglichen es, frei von ökonomischen Zwängen und mit professioneller Begleitung von erfahrenen "Mentoren", innovative und vielversprechende Projektthemen zu recherchieren und zu realisieren. 2014 hat die Jury wieder drei Stipendien vergeben.
Ein Stipendium erhält der freie Journalist Martín Steinhagen, der u.a. für die Frankfurter Rundschau schreibt, um über die Aufarbeitung im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zu recherchieren. Das zweite Recherche-Stipendium bekommt der freie Filmkritiker Frédéric Jaeger. Er recherchiert zum Thema Filmförderung in Deutschland und wirft die Frage auf, wem das vielgliedrige System der Filmförderung tatsächlich dient, wer davon konkret – ob finanziell oder nicht – profitiert und wessen politische Interessen bedient werden. Ein drittes Stipendium erhalten Martina Janning (freie Journalistin/SWR) und Beate Krol (freie Journalistin). Sie gehen in ihrem Recherche-Projekt "Ernstfall Ehec" einer Epidemie und ihren ungeklärten Fragen nach.
Die Vergabe von drei Recherche-Stipendien und die intensive Betreuung der Gewinner durch profilierte Journalisten gehören zum Markenkern des "Brenner-Preises". Inzwischen liegen mehr als 20 erfolgreich abgeschlossene, zum Teil spektakuläre Recherche-Ergebnisse vor.
So ist die folgenreiche und mehrfach ausgezeichnete Recherche aus dem Jahr 2011 zur "Sportförderung in Deutschland" von Daniel Drepper und Niklas Schenck das Ergebnis eines OBS-Stipendiums. 2012 erhielt Christina Rietz ein Stipendium, um der Attraktivität der Piusbruderschaft in der katholischen Kirche nachzuspüren. "Die Kreuzzügler", so der Titel ihrer Geschichte über den Reiz des Fundamentalismus in der Moderne, wurde ganzseitig in der FAZ veröffentlicht. Das Ergebnis der Recherche von Hannes Vogel über verdeckten Lobbyismus und bezahlte Reden eines Bundestagsabgeordneten erschien im Nachrichtenmagazin Spiegel und sorgte auf Spiegel Online für vielfältige Reaktionen. 2005 erhielt Golineh Atai das erste Recherche-Stipendium der OBS. Die heutige Korrespondentin im ARD-Studio Moskau und Trägerin des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises (2014) konnte mit Unterstützung der OBS über "Auslandsadoptionen im globalen Kindermarkt" recherchieren. Die Ergebnisse führten zu drei Filmen über die Adoptionslobby, darunter "Suche Kind. Zahle bar" (WDR-Fernsehen 2009). Astrid Geisler konnte dank eines OBS-Stipendiums über den leisen Aufstieg der Neonazis in Ostvorpommern recherchieren. Ihre Reportage "Das vergessene Land" wurde 2007 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet.
Die Gewinner der Ausschreibung 2013 (siehe www.otto-brenner-preis.de) werden über die Ergebnisse, die Erlebnisse und persönliche Erfahrungen ihrer Recherchen bei der diesjährigen Preisverleihung berichten.
Die Preisverleihung findet am 28. Oktober in Berlin statt (Hotel Pullman Berlin, Schweizerhof). Anja Höfer, TV- und Hörfunk-Journalistin, moderiert die Festveranstaltung. Die Otto Brenner Stiftung erwartet zur "10-Jahre"-Jubiläumsfeier mehr als 350 Gäste.
Die Otto Brenner Stiftung der IG Metall verleiht 2014 den "Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus" zum zehnten Mal. Prämiert werden journalistische Arbeiten, die das Motto der Ausschreibung "Gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten" herausragend umgesetzt haben. Aus 633 Bewerbungen wählte die Jury am 10. September die Preisträger in fünf Kategorien. Das Preisgeld beträgt in diesem Jahr insgesamt 47.000 Euro.
Mitglieder der Jury des Otto Brenner Preises sind Sonia Seymour Mikich (Chefredakteurin Fernsehen, WDR), Prof. Dr. Thomas Leif (SWR-Chefreporter), Prof. Dr. Volker Lilienthal (Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Qualitätsjournalismus, Universität Hamburg), Prof. Dr. Heribert Prantl (Innenpolitik-Chef und Mitglied der Chefredaktion, Süddeutsche Zeitung) und Harald Schumann (Redakteur für besondere Aufgaben, Der Tagesspiegel) sowie Detlef Wetzel (OBS-Verwaltungsratsvorsitzender und 1. Vorsitzender der IG Metall).

Der "Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus" wurde erstmals 2005 von der Otto Brenner Stiftung ausgelobt und steht seitdem unter dem Motto "Gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten". Zu den Preisträgern zählen u.a. Michael Obert ("Im Namen des Todes"), Carolin Emcke ("Liberaler Rassismus"), Anita und Marian Blasberg ("Abschiebeflug FH 6842"), Christoph Lütgert ("Kik-Story") und Wilfried Huismann ("Der Pakt mit dem Panda"). Träger des "Spezial"-Preises sind u.a. Armin Thurnher ("Falter", Wien), Katja Thimm ("Vaters Zeit"), Willi Winkler (SZ), Tom Schimmeck (freier Autor), Christian Bommarius (Berliner Zeitung) und Christian Semler (verstorben). Die Jury hat bisher u.a. Jonas Rest ("Die Klon-Krieger"), Jonathan Stock ("Peters Traum"), Karin Prummer und Dominik Stawski (Serie über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche) sowie Maximilian Popp ("Passauer Neue Mitte") mit dem Newcomerpreis ausgezeichnet.

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Von admin

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