+++ „Wie Banker, Anwälte und Superreiche Europa ausrauben“: Das Ergebnis einer Investigativrecherche von Correctiv, NDR, ZEIT u.a. wird mit dem 1. Preis ausgezeichnet +++ Ulrike Herrmann erhält den „Preis der Jury“ für die Kontinuität ihrer „kritischen Wirtschaftsberichterstattung“ +++ Steuerung F, ein öffentlich-rechtlicher YouTube-Kanal, gewinnt den Medienprojektpreis +++ Festrede hält Prof. Monika Grütters MdB, Staatsministerin für Kultur und Medien

 

Den mit 10.000 Euro dotierten 1. Preis für kritischen Journalismus 2019 der Otto Brenner Stiftung erhält ein Rechercheteam um Oliver Schröm (Correctiv) und Christian Salewski (Panorama) für die trimediale Berichterstattung über die sogenannten CumEx-Files. Neben ZEIT, ZEIT Online, Panorama, NDR Info und dem gemeinnützigen Recherchebüro Correctiv waren an der Aufdeckung und Veröffentlichung auch weitere 19 europäische Medien aus zwölf Ländern beteiligt.

„Hunderte von Tätern beraubten über Jahre die Staatskassen in zwölf europäischen Ländern um geschätzte 55 Milliarden Euro, aber die Strafverfolgung blieb im Klein-Klein nationaler Behörden hängen“, schreibt die Jury in der Begründung ihrer Preisvergabe. Die JournalistInnen haben aufgedeckt, „wie die Maschine für den Massenbetrug am Steuerzahler im Herzen der Finanzindustrie operierte“. „Der organisierten Kriminalität auf höchstem Niveau“, so die Jury, „begegneten sie mit dem Besten, was guter Journalismus leisten kann: akribische und mutige Recherche, und das in europaweiter Vernetzung über alle Grenzen und Medien hinweg“. Als „Dank“ für den „besten kritischen Journalismus“ zeichnet die Jury die Recherche mit dem 1. Preis der Brenner-Ausschreibung 2019 aus.

Der 2. Preis (5.000 Euro) geht an Ulrich Wolf für eine Artikelserie, die als „Bautzen-Report“ in der Sächsischen Zeitung erschienen ist.

Ulrich Wolf, Reporter der Sächsischen Zeitung, beschreibt am Beispiel der Stadt Bautzen, wie erschreckend wenige, dafür aber einflussreiche Akteure ausreichen, um den öffentlichen Diskurs in einer Gemeinde ganz weit nach rechts zu verschieben. „Um deren Machenschaften aufzudecken“, so die Jury, „benötigen Journalisten in den heutigen Zeiten Mut, nicht nur im Osten der Republik“. Wolf bringt diesen Mut auf, wenn er mit unbedingtem Willen, akribisch und mit beeindruckender Hartnäckigkeit schwierig zu recherchierende Strukturen aufdeckt. So ist ihm, zusammen mit der Lokalredaktion Bautzen, mit dem dreiteiligen „Bautzen-Report“ „ein vorbildliches Stück Lokaljournalismus gelungen“.

Mit dem 3. Preis wird „Draußen. Vom Leben wohnungsloser Familien in Berlin“ ausgezeichnet. Marie von Kuck ist Autorin des Features, das vom Deutschlandfunk gesendet wurde.

Die Zahl obdachloser Menschen wird bundesweit auf 1,2 Millionen geschätzt, Familien mit Kindern sollen fast ein Viertel davon ausmachen. Marie von Kuck nimmt ihre HörerInnen mit auf eine Reise in den Alltag betroffener Berliner Familien. Die Autorin begleitet Wohnungslose, lässt sich ihre Geschichte erzählen, sie zitiert aus horrenden Behördendokumenten und führt die HörerInnen in Notunterkünfte. Preiswürdig, so die Jury, „ist auch die Machart dieser sorgfältigen Radiodokumentation“. Die Autorin zeige Empathie und bewahre doch den nüchternen Ton der Journalistin. „Sie lässt Menschen zu Wort kommen, die sonst keine Öffentlichkeit haben, aber sie ergänzt deren Zeugnis auch durch Nachfragen bei Hilfseinrichtungen und Behörden, sie zeichnet das ganze Bild – kritisch und gut dokumentiert“, begründet die Jury ihre Entscheidung. Dieses Feature des Deutschlandfunks und seiner Ko-Produzenten RBB und SWR ist für die Jury „der Musterfall einer modernen Sozialreportage“.

Mit dem „Spezial-Preis der Jury“ für pointierte Meinungsbeiträge und kluge journalistische Interventionen, dotiert mit 10.000 Euro, wird die Berliner Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann ausgezeichnet.

Ulrike Herrmann, so die Jury, macht Ökonomie zu einer Sache, bei der man mitreden kann und will, „weil sie die Scheu vor den komplexen Zusammenhängen aus der Welt des Wirtschaftens nimmt“. Sie verstehe es, Verständnis und Vergnügen an ökonomischen Fragen zu wecken. Für die Jury ist die gelernte Bankkauffrau, studierte Wirtschaftshistorikerin und Wirtschaftsredakteurin der taz „eine Wirtschaftsweise im besten und eigentlichen Sinn“: Eine begnadete Erklärerin der großen gegenwärtigen volkswirtschaftlichen Krisen, die immer zugleich politische Krisen sind. Die Jury lobt den „enormen Sachverstand“ der Autorin und würdigt sie als „eine Wirtschaftsjournalistin der Extraklasse und wunderbare Leitartiklerin mit gutem Gespür für Sozialstaatlichkeit“.

Der Newcomerpreis, dotiert mit 2.000 Euro, geht an die 25-jährige Isabell Beer. Ihr Beitrag „Josh wuchs behütet auf. Mit 15 verfiel er den Drogen. An Stoff zu kommen war nicht schwer. Er hatte ja Facebook“ erschien am 31. Januar 2019 in DIE ZEIT/ZEIT Online.

Anders als Christiane F. vor 40 Jahren kommen Jugendliche heute leicht über soziale Medien an Drogen. Mit „Joshs Bahnhof Zoo ist Facebook“ verbindet die Autorin zwei Themen miteinander, die nicht im Fokus des öffentlichen Interesses stehen, aber genau dort hingehören: Social Media und Drogenkonsum. Die Jury hebt in der Begründung hervor: „Mit ihrem klaren, eindringlichen Sprachstil und der gründlichen Recherche gelingt es Isabell Beer, dem Leser nicht nur die Dimension dieses Problems unglaublich anschaulich zu verdeutlichen, sondern auch Empathie zu empfinden“. Diese junge Journalistin, so erwartet die Jury, „verspricht Randthemen der Gesellschaft so zu bearbeiten, dass sie in das Blickfeld geraten“.

Im Wettbewerb um die Brenner-Preise zeichnet die Jury auch innovative und wegweisende Medienprojekte mit 2.000 Euro aus. 2019 geht der Medienprojektpreis an das Team von STRG_F, den journalistischen YouTube-Kanal der ARD-Sendung Panorama.

STRG_F zeigt nach Auffassung der Jury beispielhaft, dass junge Menschen auf YouTube nicht nur mit Katzenvideos und Tutorials zu erreichen sind, sondern auch für investigative Dokumentationen begeistert werden können, die politisch informieren und für gesellschaftliche Kontroversen sensibilisieren. Der Kanal gehört zu funk, dem jungen Angebot von ARD und ZDF. Er erreicht im Schnitt 600.000 ZuschauerInnen, von denen knapp 80% unter 35 Jahre alt sind, und hat rund 381.000 AbonnentInnen. Die ReporterInnen gehen auf lebendige, innovative und glaubwürdige Art komplexen Themen wie Produktfälschung, Rechtsextremismus, Flüchtlingshilfe oder Zwangseinweisungen in die Psychiatrie nach. Die Jury betont, dass die STRG_F-ProduzentInnen zwar subjektiv erzählen, „aber dabei nicht reißerisch, sondern sorgfältig und transparent arbeiten“.

Neben diesen Preisen werden 2019 von der Otto Brenner Stiftung auch wieder drei Recherche-Stipendien vergeben, die mit jeweils 5.000 Euro dotiert sind.

Die Vergabe von Recherche-Stipendien und die Betreuung der GewinnerInnen durch profilierte JournalistInnen gehören zum Markenkern des Brenner-Preises. Inzwischen liegen mehr als 40 erfolgreich abgeschlossene, zum Teil spektakuläre Recherche-Ergebnisse vor. Einige dieser Ergebnisse werden im Rahmen der diesjährigen Preisverleihung vorgestellt. Maria-Mercedes Hering und Miriam Lenz haben unter dem Titel „Zwischen Mitbestimmung und Machtmissbrauch“ die „Krise in der verfassten Studierendenschaft“ nachgezeichnet (Rechercheergebnisse). Petra Sorge, Caitlin Chandler und Giacomo Zandonini haben über neue Überwachungssysteme an der EU-Außengrenze recherchiert und wichtige Ergebnisse veröffentlicht (Rechercheergebnisse). Außerdem gelangen Susanne Götze kritische Einblicke in das „Netzwerk der Klimawandel-Leugner“– überraschende Ergebnisse einer „verdeckt geführten Recherche“ (Rechercheergebnisse).

Auch die Anträge 2019 lassen innovative und intensive Recherchen zu den Themen „Klimakriege“ (Raphael Thelen), „kommunale GmbHs“ (Vinzenz Neumaier und Thomas Schuler) und „Extremwetter“ (Ann Esswein und Felie Zernack) erwarten.

Die Preisverleihung findet am 19. November in Berlin statt. Anja Höfer, TV- und Hörfunk-Journalistin (SWR), moderiert die Festveranstaltung.

Die Otto Brenner Stiftung verleiht den Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus 2019 zum 15. Mal. Prämiert werden journalistische Arbeiten, die das Motto der Ausschreibung „Gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten“ in ihren Beiträgen beispielhaft umgesetzt haben. Aus 561 Bewerbungen wählte die Jury am 19. September die PreisträgerInnen in fünf Kategorien aus. Das Preisgeld beträgt 2019 insgesamt 47.000 Euro.

Jurymitglieder 2019 sind die freie Journalistin Brigitte Baetz (u.a. Deutschlandfunk), Prof. Dr. Volker Lilienthal (Universität Hamburg, Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Qualitätsjournalismus), Henriette Löwisch (Leiterin der Deutschen Journalistenschule in München, DJS), Prof. Dr. Heribert Prantl (Kolumnist und Autor, Süddeutsche Zeitung), Isabell Schayani (WDR, u.a. Moderatorin des „Weltspiegel“), Harald Schumann (Mitbegründer Investigative Europe, Redakteur für besondere Aufgaben, Der Tagesspiegel) sowie Jörg Hofmann (1. Vorsitzender der IG Metall und OBS-Verwaltungsratsvorsitzender).

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