Schwanensee – der Inbegriff des Balletts. Seit der Uraufführung 1895 war Tschaikowskys Meisterwerk stets Inspiration und Herausforderung für Generationen von Choreografen und Regisseuren. Eine völlig neue Facette fügt nun Fredrik Rydmans Swan Lake Reloaded dem klassischen Stoff hinzu. Swan Lake Reloaded – Tchaikovsky meets Streetdance ist eine kühne Vision modernen Tanztheaters, der es gelingt, die technisch und akrobatisch hochanspruchsvollen Choreografien einer Streetdance-Show in ein künstlerisches und erzählerisches Konzept einzubinden. Hochkultur und Entertainment verschmelzen zu einem überwältigenden audiovisuellen Gesamtkunstwerk und machen Swan Lake Reloaded zu einer der spektakulärsten Inszenierungen der jüngeren Vergangenheit. Die Show feierte im Dezember 2011 in Stockholm Premiere und wurde mit Begeisterung aufgenommen. Innerhalb kürzester Zeit war die komplette Spielzeit mit über 40.000 Tickets restlos ausverkauft. Die erste Tournee in Deutschland und Österreich im Frühjahr 2013, als auch das Gastspiel im Hamburger Thalia Theater im darauffolgenden Sommer, wurde auf Anhieb zu einem Erfolg bei Kritikern und Publikum.

 

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Die bekannte Geschichte um Prinz Siegfried und die schöne Odette ist in die Moderne transportiert. Die Schwäne sind, gekleidet in weißem Pelz, heroinabhängige Prostituierte. Rotbart, der sich als Zuhälter und Drogendealer die Macht über seine Umgebung verschafft, versorgt die Schwäne mit dem begehrten Stoff. Als sich zwischen dem Schwan Odette und Prinz Siegfrid eine zarte Romanze entwickelt, versucht der finstere Rotbart mit allen Mitteln, die Liebe der beiden zu unterbinden. Denn nur diese Liebe kann Rotbarts bösen Bann brechen. In einem Umfeld aus Lug und Trug, Schein und Verlockung müssen die beiden etliche Hindernisse überwinden, die ihren Glauben an die eigene Urteilskraft nachhaltig erschüttern.
Mit Beats unterlegt, gesampelt, verfremdet: Ähnlich der Handlung erfährt auch die berühmte Musik Tschaikowskys einen Neuanstrich. Neben den „Remixen“ angesagter schwedischer Electro-Produzenten bilden eigens für die Show komponierte Songs u.a. von Moneybrother, Salem Al Fakir oder Adiam Dymott eine besondere Soundkulisse für die Geschichte von Liebe und Gier, Abhängigkeit und Täuschung. Dazu eine Tanzchoreografie, die mit ihren modernen Streetdance Elementen perfekt die Handlung widerspiegelt. Beeindruckend sind die roboterartig-mechanischen Tanzbewegungen der Schwäne, die atemberaubenden Headspins während der Ballszene oder die diabolisch kühle Performance von Rotbart. Über Zeit und Raum verfügend lässt er Tänzer nach seinem Willen mal in Slow Motion, dann wieder in hektischem Breakdance tanzen. Hinter dem Projekt steht der schwedische Choreograf, Tänzer und Produzent Fredrik Rydman. Als Mitglied der Streetdance-Kompanie „Bounce“ feierte er europaweit Erfolge und begann mit Shows wie „Insane in the Brain“ (einer Inszenierung von „Einer flog über das Kuckucksnest“), was er nun mit Swan Lake Reloaded perfektioniert hat: Eine komplexe Handlung mit modernen tänzerischen Mitteln ausdruckstark und bildgewaltig darzustellen. Die Show nutzt eine Vielzahl dramaturgischer Möglichkeiten der modernen Theatertechnik. Spektakulär ist das aufwendige Lichtdesign, das in vielen kleinen Details die Handlung wirksam unterstützt. So wird Swan Lake wahrhaftig zu einem rauschhaften Erlebnis und erzeugt einen Sog, der die Wahrnehmungsverluste der Protagonisten förmlich spüren lässt. Verantwortlich hierfür zeichnen Linus Fellbom und Emma Westerberg, die bereits mit internationalen Stars wie Björk und Rufus Wainwright gearbeitet haben.

Eine Show auf die Beine zu stellen ist ungefähr so wie ein Kind zu bekommen. Wenn die Idee geboren ist, fühlt man sich zunächst euphorisch und wie frisch verliebt, beginnt aber gleichzeitig sich zu fragen, worauf man sich da eigentlich eingelassen hat. Ist das Kind dann auf der Welt, denkt man natürlich, es sei das Schönste auf der Welt. Man zeigt es Verwandten und Bekannten und wartet gespannt. So war es auch hier. „Ja, doch, ganz nett dein kleines Baby!“ war die Resonanz. Und ich verstand dennoch sofort, dass dies nicht nur der Höflichkeit geschuldete Lippenbekenntnisse waren, sondern ehrliche und interessierte Meinungen von Menschen, die mir helfen wollten, meine Idee zu verwirklichen. Dafür bin ich sehr dankbar. Dankeschön Blixten! Ich kann mich noch genau daran erinnern, wo mir die Idee zu Swan Lake kam: In London vor dem Schaufenster eines Vintage-Geschäftes. Dort waren einige Pelze ausgestellt, die aussahen wie Schwäne. Oft werden ja Schwäne als Symbol für Prostituierte verwendet, und ich fragte mich, ob das hier beabsichtigt war. Und nach und nach wurden mir die Parallelen klar: Drogenabhängigkeit und Prostitution gehen oft einher und Drogen sind ja ganz deutlich der Zauber, mit dessen Hilfe Rotbart die Mädchen in Schwäne verwandelt und unter seinen Bann stellt. Das war im Sommer 2009. Zuhause in Stockholm schaute ich mir die Handlung etwas genauer an, denn eigentlich wusste ich nur wenig darüber. Den schwarzen Schwan kannte ich natürlich, und die Musik hatte ich auch kennengelernt, als ich am Cullberg Ballett Teil des Schwanensee-Ensembles in der Inszenierung von Mats Ek war. Als ich mir die Musik erneut anhörte, fand ich sofort Stellen, die genau zu meiner Handlungsidee passten, ganz so als hätte Tschaikowsky beim Komponieren die gleichen Gedanken im Hinterkopf gehabt. Ich hatte schon lange den Wunsch, mit neu geschriebener Musik zu arbeiten. Da die Originalmusik so einfach zu sampeln ist, reizte mich die Idee, sie mit neuen Kompositionen zu vermischen. Fast alle Musiker, mit denen ich an dieser Show gearbeitet habe, kannte ich schon vor Beginn des Projekts. Ich erzählte ihnen, was auf der Bühne passieren soll, welches Licht und welche Stimmung ausgedrückt werden soll und tanzte dazu im Wohnzimmer oder Studio meine Gedankenskizzen vor. Auch Salem Al Fakir war schon bei den ersten Proben dabei und hat mit mir und den Tänzern zusammen improvisiert. Hätte in diesen Momenten ein Außenstehender seinen Kopf durch die Tür gesteckt, hätte sich für ihn ein wohl sehr komisches und absurdes Bild ergeben. Über zwei Jahre trug ich diese Show in meinem Kopf herum – beim Radfahren, in der Badewanne, am Mittagstisch, einfach überall. Und ständig fügte ich neue Ideen hinzu. Wie ein alter Freund, der plötzlich und unerwartet auftaucht, kamen mir in den abwegigsten Situationen Einfälle zu meinem Projekt in den Sinn. Während dieser Zeit saß ich oft mit vier phantastisch begabten Menschen zusammen und grübelte mit ihnen über dem Thema Swan Lake: Lehna, Linus, Emma und Daniel. Unsere Treffen waren lustig, manchmal frustrierend, aber immer kreativ. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, eine Show in seinem Kopf zu haben – und eines Tages vor zehn Tänzern zu stehen, die mich mit großen Augen anschauen und fragen, was sie denn nun machen sollen. Am 3. Oktober begannen die Proben mit den Tänzern – und damit eine der schönsten Zeiten meines Lebens. Früh am Morgen choreografierte ich im Übungsraum, tagsüber mit Kopfhörern auf der Straße und abends in meinem Keller. Einige Teile choreografierte ich mit den Tänzern während der Proben: Zehn phänomenale Tänzer, mit denen ich furchtbar gerne zusammenarbeite, darunter meine alten Bounce-Freunde Ambra und Jennie. Das sind Tänzer, die ihre Arbeit zu einem Vergnügen gemacht haben. Die schönsten Augenblicke als Künstler sind für mich die, wenn man etwas Neues geschaffen hat und es zum ersten Mal in seiner Gesamtheit erlebt. Für mich war die Stockholmer Premiere eine Art Abschied. Die unterhaltsamste und interessanteste Zeit ist vorbei. Das kleine Baby ist erwachsen geworden, hat seinen Schulabschluss gemacht und zieht hinaus ins Leben. Jetzt überlasse ich dem im Publikum mein Baby und hoffe, dass es in gute Obhut genommen wird. Man darf es gerne mit Applaus unterstützen – dadurch wird es nur noch besser – aber auch kritisch und unerbittlich sein, wenn es schlampig arbeitet.

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Swan Lake Reloaded Tchaikovsky meets Streetdance

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Von admin

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