Was für ein Finale furioso im Traber-Derby, bei dem, um ein geflügeltes Wort des englischen Fußballers Gary Lineker zu bemühen, am Ende wieder die Holländer gewannen. Gewiss hat es knappe, dramatische Entscheidungen, die ja das Salz in der Sportler-Suppe sind, zuhauf gegeben. Aus der persönlichen, immerhin schon 49jährige Derby-Historie fällt dem Chronisten ad hoc jedoch nur ein Blaues Band ein, bei dem der stolze Sieger erst nach Auswertung der Zielfotografie hochgezogen werden konnte: 1993 war’s, als Gerhard Biendl mit Speedy Harry vor dem hinter Tartas zu früh jubelnden Michael Schmid die Lorbeeren einheimste. Und nun ein Dreikampf, wie er furioser nicht hätte sein könne: Innen der vom Fleck weg den Takt vorgebende Velten von Flevo, daneben der stete unerschrockene Angreifer und Favorit Juan Bros, dessen italienische Fangemeinde sich beim Aufmarsch der zwölf Finalisten am Ziel versammelt hatte und einen Heidenspektakel machte, weit außen ein gewaltig, aber eben um einen Hauch zu spät auf vollen Pötten heranrasender Rancoon. Ganz innen River Flow, für den Thorsten Tietz händeringend wie händevoll nach einer Passage suchte, durch die Pferd und Sulky passten, um wie im Vorlauf den explosiven Speed des Baltimore-As-Sohnes in den lockenden Sieg umzumünzen – und die nie kam bzw. nur groß genug war, um das Pferd hinein zu quetschen.
„Kampf kurzer Kopf – kurzer Kopf – Hals“ lautete der Richterspruch nach Auswertung des Zielfotos für die oben beschriebene Reihenfolge. Ein Resultat, das das Adlerauge von Berlins jahrzehntelangem Rennkommentator Peter Fahrentholtz trotz der Millimeter-Entscheidung genau so gemutmaßt hatte und der sich dennoch selbstverständlich auf die unbestechliche Technik stützte.
Für das altbewährte Dream-Team um Robin Bakker und Paul Hagoort, die zur 124. Auflage des Blauen Bandes nicht angetreten waren, weil sie keinen konkurrenzfähigen Dreijährigen hatten, sprang das nächste geniale Duo der Oranjes in die Bresche: die seit Monaten europaweit für Furore sorgenden holländischen Champions Jeroen Engwerda als Trainer und Henricus Ebbinge als Vollstrecker, der kurioserweise nur in den Rennprogrammen seines Heimatlandes mit diesem Vornamen gelistet ist und überall sonst als „Rick“ in den Annalen steht. „Bleibt Velten von Flevo gesund und entwickelt sich weiter so, wird dies mein Pferd fürs deutsche Derby“, hatte Engwerda, der am 28. Juli sein 58. Lebensjahr vollendet und sich sein schönstes Geburtstagsgeschenk mit Verspätung selbst beschert hatte, im kleinen Kreis Ende der Vorsaison preisgegeben. Da hatte der auf der Flevo Farm der Familie Iwema geborene, wie viele seiner „Landsleute“ ins deutsche Gestütbuch eingetragene Dunkelbraune gerade seinen einzigen Auftritt als Zweijähriger im Hamburger Winterfavoriten gewonnen und für die seit Jahrzehnten in den deutschen Trabersport investierenden Sigrid Velten und ihren kanadischen Lebenspartner, Eishockey-Legende Bernie Johnstone, 10.000 Euro eingerannt. Erst spät – am 2. Juni in Berlin in einem Warm-up zum Buddenbrock-Rennen – war er in die wichtigste Saison eines Rennpferdes eingestiegen, und das mit einer roten Karte. Die bügelte er mit einem lockeren Sieg im Gelsenkirchener Alltagsgeschäft umgehend aus, und spätestens mit dem leichten Triumph vorneweg im langsamsten aller vier Derby-Vorläufe am 21. Juli war er im inneren Zirkel jener Sechs angekommen, die nach Meinung der Auguren reell für die fetten Prämien in Betracht kommen sollten.
Entschieden wurde das vielleicht nervenzerfetzendste Derby aller Zeiten, so paradox das klingen mag, bereits am Start. „Keine Frage – Velten von Flevo wird vor River Flow an die Spitze fliegen, und dann kommt es darauf an, wie schnell Juan Bros, der kein Raketen-, sondern ein ganz normaler Starter ist, an seiner Seite aufzieht. Rick ist nicht umsonst vor kurzem Weltmeister geworden. Er ist extrem nervenstark, weiß seine Gegner genau einzuschätzen und macht keine taktischen Fehler“, analysierte Hollands „Mister Drafsport“ Hans Sinnige vorab – und genau so sollte es kommen. Wie der Blitz schoss Velten von Flevo vor River Flow, Place Royal und Rancoon in Front. Von ganz außen wirbelte Orkan von Haithabu vor Juan Bros, Juan Les Pins und Jason Dragon an seine Flanke und wartete auf eine Lokomotive, die in Form des Favoriten Juan Bros vor den Tribünen folgerichtig anmarschiert kam. Als die „gelbe Gefahr“ Alessandro Gocciadoro 1100 Meter vorm Ziel endlich auf Augenhöhe Velten von Flevos war, wollte ihn Rick Ebbinge nicht mehr vorbei lassen: „Hätte er früher angeklopft – ja! In dieser Phase nicht mehr!“ So musste der Muscle-Mass-Sohn, für den nach seinem Vorlauf-Spektakel kolportierte Gebote um die 500.000 Euro ausgeschlagen worden sein sollen, den Rest des Weges durch die Todesspur, was der knackige Braune klaglos hinbekam. „Eine Sekunde drin“, wie nach dem 1:13,4-Qualifier vom „Mann in Gelb“ verkündet, um das Ballyhoo anzuheizen, hatte er jedoch mitnichten. Auf der Zielgeraden rangen die beiden Protagonisten um buchstäblich jeden Zentimeter mit dem besseren Ende für Velten von Flevo und wären doch beinahe von Rancoon erwischt worden, mit dem Rudi Haller 600 Meter vorm Ziel innen um eine Position vorrücken konnte, weil Place Royal hinter Juan Bros nach außen gewechselt war. Seinen ersten deutschen Derby-Sieg verpasste der „Haller Rudi“ genauso knapp wie der innen mit River Flow zur Tatenlosigkeit verdammte Thorsten Tietz. Fünf Längen hinter diesem rasenden Quartett, für das durchweg 1:13,0 eingetragen wurde, komplettierte Jason Dragon vor dem blass bleibenden Juan Les Pins die Riege der vorab sechs Chancenreichsten.
Otero mit dem dicksten Trostpflaster
Zwei, die als Gesetzte die Pflicht vor der Derby-Kür versemmelt hatten, machten den mit 20.000 Euro dotierten Derby-Trostlauf unter sich aus. Josef Franzls Otero kam die diesmal bessere Ausgangslage von Startplatz „5“ sehr zupass. Sofort vor seinem stärksten Rivalen Gladiateur in Front gehechtet, verurteilte er den Umsturzversuch des „Gladiators“ ohne größere Mühe um eine Länge zum Scheitern und trabte 10.000 Euro für die Lasbeker Kasse ein, wofür dem Muscle-Hill-Sprössling 1:14,2 reichten.
Mit Jet-Effekt zum Bahnrekord
Erster Höhepunkt des üppigen 14-Gänge-Programms bei bestem Rennbahn-Wetter – bewölkt, trocken, nicht zu warm und nicht zu kalt – war die Rekordmeile, in der Deutschlands internationales Aushängeschild Orlando Jet trotz zweiter Startreihe und einem mäßigen Beginn kurzen Prozess mit den sechs Rivalen machte. Vor Publikum in zweiter Spur auf Attacke gepolt, genügten dem Traber des Jahres 2016 zwei 400-Meter-Abschnitte von 1:09,9, um den erklärten Gegner Halva von Haithabu von der Kommandobrücke zu jagen. Auf der Zielgeraden zwei, drei Längen voraus, musste Rudi Haller sein Schmuckstück ein wenig vorm Einschlafen bewahren, „denn den Bahnrekord wollte ich unbedingt. Genau dafür waren wir hier.“ Der fiel dann auch: Mit 1:11,1 war Fridericus‘ drei Jahre alte Bestmarke um eine Zehntelsekunde Geschichte, und entsprechend frenetisch wurden die Publikumsmagneten gefeiert.
Der als Kontrastprogramm anschließende Derby-Pokal der Steher über gepflegte 2500 Meter wurde eine bombensichere Beute von Timberlake Diamant, mit dem Gerhard Biendl, nach 400 Metern auf dem Platz an der Sonne, ein gemütliches Tempo vorlegen durfte und nach zwei Runden genügend in der Hand hatte, um seinem Schatten Kobra Håleryd wie seinem äußeren Begleiter Toscanini Diamant mühelos davonzufahren.
Free Bird in der Derby-Revanche
Auch ohne Mister F Daag und Ids Boko, Erster bzw. Zweiter des Blauen Bandes 2018, die vor acht Tagen ein Engagement im französischen Enghien vorgezogen hatten, ließ die traditionelle Derby-Revanche nichts zu wünschen übrig und wurde in einem Fotofinish entschieden, bei dem man die ersten Drei mit dem Taschentuch zudecken konnte. Das war durchaus zu erwarten, denn fünf der acht Aspiranten, die an die 25.000 Euro ran wollten, notierten am Toto im zweistelligen Bereich. Am Ende kam von ganz hinten ein Vogel geflogen, der mit dem letzten Schritt für 151:10 eher Wenige glücklich machte. In einem erbitterten Gefecht wehrte sich Führungsoffizier Officer Stephen mit Bravour gegen den immer zudringlicher werdenden Very Impressive S und hielt ihn um eine Länge auf Distanz. Damit war der Sieg für den Officer aber noch längst nicht in Sack und Tüten, denn nun schaltete sich Cahaya, die Zweite des 2018er Stuten-Derbys, mit Schmackes ein und schien für den Sieg gerade so hinzukommen. Noch einen Tick besser ging Free Bird. „Mir schwante eingangs der Zielgeraden, dass selbst gegen diese Kracher noch was gehen könnte. Dieses Pferd hat sich jetzt voll gefunden und kann immer noch zwei Gänge zuschalten“, wie Robbin Bot beichtete, „obwohl es so knapp war, war ich mir relativ sicher, dass wir die Nase als Erste am Zielstrich hatten.“ Das Kuriose: „Aus dem Derby wurde er bewusst herausgenommen, weil es für ihn zu früh kam. Wir wollten ihm alle Zeit zur Reife geben und ihn Schritt für Schritt an größere Aufgaben heranführen“ – was der kleine körperlich kleine Ready-Cash-Sohn mit dem Sieg im Hamburger Dreijährigen-Halali am 14. November erstmals auf höherer Ebene gedankt hatte.
An den vor zwei Jahren verstorbenen Gerhard Krüger erinnerte das erste Rennen für die Youngster, das die wie siamesische Zwillinge aneinander klebenden Emoji und Baltic Star über weite Strecken bestimmten. Schien sich Emoji in der letzten Biege etwas absetzen können, so folgte der Konter des Herausforderers auf dem Fuß: „Ich wollte dort noch nicht alles riskieren. Er sollte kurz Luft holen für die entscheidende Gerade“, schilderte Thomas Panschow die Situation. 200 Meter vorm Ziel war der Revenue-Sohn nicht nur wieder dran an Emoji, sondern gab ihr bis ins Ziel ganz leicht das Nachsehen, und auch Fräulein Trixie raufte sich knapp an der Wishing-Stone-Tochter vorbei.
Wie fast schon gewohnt wurde auch der letzte Meeting-Tag mit dem überlegenen Sieg eines „Brenners“ eröffnet. 17:10 notierte der Totalisator für den im Derby-Vorlauf überforderten Moncler Bo, dem Dion Tesselaar eine sehr viel passendere Aufgabe in der Gewinnarmen-Klasse ausgesucht hatte. An der letzten Ecke überschlugen sich die Ereignisse: In Front geriet SJ’s Bianco, schwer unter Druck, ein Stück von der Piste ab, schlingerte und sprang und entledigte sich schließlich, als die Gefahr längst gebannt schien, seines Fahrers Erwin Bot. Der dahinterliegende Tesselaar, ohnehin verzweifelt auf der Suche nach einem Durchschlupf, riss Moncler Bo nach außen, um ein Auffahren zu vermeiden, und kam dabei Over the Cloud in die Quere, der bis zur roten Karte sprang. Der Rest war ein Leichtes für den Virgill-Boko-Sohn, der Michael Nimczyks Bavaro flink überrannte. Während der fahrerlose SJ’s Bianco dank der konzertierten Hilfe von Mykola Volf, Josef Franzl und Moderator Christoph Pellander rasch eingefangen werden konnte, bevor es größere Schäden gab, und auch Erwin Bot gleich wieder auf den Beinen war, kam das dicke Ende für Moncler Bo durch die Rennleitung, die ihn wegen des Fahrspurwechsels zu Lasten Over the Clouds disqualifizierte.
Weil’s so blöd war, durfte gleich der nächste vermeintlich überlegene Sieger die Ehrung knicken: Gobelin genügte weit voraus im Reiten des Kombi–Pokals in der Gangart nicht, so dass die weit abgehängten Georgies Express und Anne Lehmann mit Verspätung im Winner Circle erschienen.
Glück hat auf die Dauer nur der Tüchtige, und der hieß im dritten Rennen erneut Michael Nimczyk, dem im wahrsten Sinne die Gegner im Galopp abhanden kamen. Der letzte war 150 Meter vorm Ziel Fight of the Night, so dass die vom Fleck weg führende Stand up nur noch unfallfrei durchziehen musste.
Teil zwei des Kombi-Pokals, ein Fahren für die Profis, ging ohne Beanstandungen über die 1900 Meter weite Bühne. Der geschenkte Sieg hatte Georgies Express offensichtlich derart viel Mumm verpasst, dass er sich hinter Tempomacher Falco kräftig aufbaute und jenem und Heinz Wewering die Siegerehrung vermasselte. Im Sulky saß Jochen Holzschuh. Das Quäntchen mehr Glück hatte der zweifache Weltmeister und 29fache „ewige Goldhelm“ im Pokal der Derby-Champions. Die sofort in Front gepreschte Donna Granata zwang er dank seiner Finishkünste gegen den mit Josef Franzl enorm zudringlichen Malory um eine Nasenspitze als Erste an die Linie, wie ein Blick aufs Zielfoto auswies.
Andre Pögel, der in einer unglaublichen Form agierende König der Amateure, und Prince of Persia holten sich aus der Frontlage das letzte Treffen der Hobbyfahrer in einer Manier, wie es adligen Häuptern geziemt. Weder Ulalia noch Laura Vici als Beste des Fußvolks hatten den Hauch einer Chance, dem kernigen Fuchs am Zeug zu flicken.
Die letzten beiden Aufgaben wurden von Speedpferden gewonnen. Erst verpasste Michael Nimczyk, der Mann der sieben „Derby-Tage“ schlechthin, dem im Derby-Vorlauf überforderten Rheingold hinter Ovation L.A. und Jack Scott das perfekte Windschattenrennen und streckte die beiden Rivalen „aus der Kiste“ trocken nieder. In ähnlicher Manier ließ Jaap van Rijn im das Meeting beschließenden Trotteur-Français-Vergleich über „unendliche“ 3200 Meter die Gemeinten Amiral de Retz, Dean les Jarriais, Confidential Bond und Venicio Pommereux sich gründlich austoben und hatte mit der fulminant spurtenden Dame Quick im Handumdrehen gewonnenes Spiel.
Beim großen Stühlerücken nach den sieben tollen, durch die fast zweiwöchige Pause etwas entspannteren Tagen galt der erste Blick dem, was an den tatsächlichen und virtuellen Wettkassen herausgekommen bzw. in sie hinein geflossen war. Am Derby-Tag lag der Umsatz um 7.500 Euro über dem des Vorjahrs. Insgesamt wurden an den sieben Tagen landauf, landab 2.717.106,60 gewettet – rund 7.700 Euro weniger als 2018. Der Schnitt pro Rennen – statt 89 in 2018 waren es heuer 91 – sank von 30.529 auf 29.942 Euro.
Umsatz bei 14 Rennen: 724.764,71 Euro (incl. 342.298,45 Euro Außenumsatz)
Umsatz PMU-Rennen (Derby) in Frankreich: 7.925 Euro