Bolles Erbe – Festsäle mit Original Berliner Charme und viel Geschichte

Carl Andreas Julius Bolle war ein moderner Tausendsassa. Er hätte gut in die heutige Zeit gepasst, er liebte Innovationen, wagte neue Wege und ging aus jedem Scheitern gestärkt hervor. Das Einzige, was Bolle sich nie hätte träumen lassen: dass seine erfolgreiche Meierei eines Tages eine spektakuläre Veranstaltungsstätte werden würde. Der Unternehmer war nämlich Puritaner: tugendhaft, moralisch und sehr gläubig. Von diesem strengen Geiste ist nichts mehr zu spüren. Die beiden Festsäle, die Milchbar, die drei Kontorräume und die Dachterrasse im denkmalgeschützten Klinkerbau sind sorgfältig restauriert und modernisiert worden. Seither kann man hier in einzigartiger Atmosphäre stilvoll tagen, jubilieren, feiern und sich wie Bolle amüsieren – auch wenn dieser Ausdruck natürlich nicht auf Carl Bolle zurückzuführen ist, sondern auf ein Volkslied, das bereits im 18. Jahrhundert geträllert wurde. Der berühmte Carl Bolle hat Berlin aber weit mehr hinterlassen, als ein paar markige Sprüche und die Milchmädchenrechnung…

Eins vorweg: Der Vorzeige-Berliner Carl Bolle ist ein Brandenburger! Geboren und aufgewachsen ist er nämlich als fünftes Kind des reichen Bolles aus Milow. Reich war Vater Bolle allerdings nur nach ländlichen Maßstäben, als Havelschiffer hatte er es mit Steintransporten zu einem gewissen Wohlstand gebracht – mit dem späteren Vermögen, das sein Sohnes sich erarbeiten würde, war das sicher nicht zu vergleichen. Der Vater ertrank 1836 bei einem Arbeitsunfall in der Havel, da war Carl gerade vier Jahre alt. Kurz darauf verstarb auch seine Mutter. Bolle erbte 3000 Taler und wuchs fortan als Waise auf. Vielleicht waren es die fehlende Obhut der strengen Eltern und die Freiheit, keinen väterlichen Betrieb aufrechterhalten zu müssen, die Bolles risikobereite Persönlichkeit prägten.

 

In der Schule tat er sich zunächst nicht besonders hervor, stattdessen drängte sein Bruder ihn zum soliden Handwerk. Bolle machte eine Maurerlehre. Seine anschließenden Wanderjahre fanden in Budapest ein jähes Ende, weil er – so munkelt man – schwer an Heimweh erkrankt sei. Seine Schwester päppelte ihn daheim wieder auf und der neue Pfarrer nahm sich seiner an. Bolle startete einen zweiten schulischen Anlauf. Ohne Erfolg: Das Abitur bestand er nicht und auch der Versuch, als Missionar nach Afrika auszuwandern, scheiterte am Mobbing seiner kirchlichen Mitstreiter. Im Nachhinein kann man neu-berlinerisch sagen: … und das war auch gut so. Was wäre sonst aus dem Westend geworden? Bolle war es nämlich, der 1860 nach Berlin zog, um ein Bauunternehmen zu gründen und am Rande Charlottenburgs Villen zu bauen. Dank des geerbten Geldes, mit zusätzlich geborgtem Geld und einer gehörigen Portion Grips schaffte er es schnell, wieder schuldenfrei zu werden und Reichtümer anzuhäufen. Erst später widmete Bolle sich den bekannten Arbeitersiedlungen in Moabit, wo er dann selbst ein Zuhause fand – gemäß seiner puritanischen Lebenseinstellung zog er trotz Vermögen eben nicht in eine Villa. Die gönnte er sich erst Ende der 1880er Jahre auf dem Meiereigelände.

Der Workaholic ruhte sich auch niemals auf seinen Erfolgen aus, sondern suchte stets neue Geschäftsfelder. Er gründete eine Baumschule, kaufte sich Wiesen am Lützowufer dazu und hielt sich dort Kühe als Düngerlieferanten. Eine Konservenfabrik soll ebenfalls sein eigen gewesen sein. Und auf den Ratschlag des liberalen Reichstagsabgeordneten Georg von Bunsen stieg Bolle sogar als erster in Berlin in den Seefischhandel ein. Was gut anlief, scheiterte ausgerechnet an der Kühlung – der sich Bolle geschäftlich ebenfalls angenommen hatte: erst mit seiner Eisfabrik und dann mit der Entwicklung von künstlichen Kühlaggregaten zusammen mit Rudolf Diesel und Carl Linde. Bolle, der sich keine Verluste leisten wollte, brachte den verdorbenen Fisch übrigens trotzdem auf den Markt. Das stank zum Himmel und blieb entsprechend nicht unbemerkt. Polizei und Behörden beendeten Bolles Küstenausflüge.

Das war der Anfang vom vorerst dicken Ende, denn der Gründerkrach gab Bolle kurz darauf den Rest. Seine Hausbank ging pleite und Bolle geriet in die Bredouille. Geblieben waren ihm die Wiesen und die 30 Kühe, die er nun in den Mittelpunkt seines Schaffens stellte. All seine Erfahrungen der letzten Jahre, die er im Handel und Baugeschäft erworben hatte, nutzte er, um Berlins größte Meierei aufzubauen. Seine „Kuhdestillen“ und „Babytheken“, wie die Berliner Bolles kleinen Verkaufsstände nannten, wurden dankbar angenommen. Frischmilch und Butter waren in der Großstadt bisher keine Selbstverständlichkeit. Schon bald konnten Bolles Kühe den Bedarf der Berliner nicht mehr decken und er nahm die umliegenden Bauern unter Vertrag, sammelte die Milch und brachte sie mit der Bahn nach Berlin. Im Umkreis von bis zu 200 km um Berlin war Bolle-Gebiet. Auch sein inneres Vertriebsnetz erlangte Berühmtheit. Die Bolle￾Wägen und Milchkutscher brachten die frischen Waren bis an die Haustür. Die Milchmädchen und Bolle-Knaben waren sehr beliebt – auch als Klatschquellen. Um die Abrechnungen trotz unterschiedlicher Angebotspreise und Produkte einfach zu halten, erfand Bolle ein einfaches und effizientes Rechensystem, die legendäre Milchmädchenrechnung.

Das Geschäft boomte und 1886 kaufte Carl Bolle für eine Million Mark das Gelände der Schumannschen Porzellan-Manufaktur, die dann als Meierei C. Bolle über Berlins Stadtgrenzen hinaus bekannt wurde und fortan Frischmilch, Vorzugsmilch für Kinder, Magermilch, Käse, Butter und Margarine zu guten Preisen unter das Volk brachte. Seinen rund 2000 Mitarbeitern gönnte Bolle Urlaub und stellte dafür sogar seine Villa in Milow zur Verfügung. Die Arbeitsbedingungen waren der Zeit entsprechend hart: Kinder und Erwachsene arbeiteten sechs Tage die Woche und zehn Stunden am Tag. Verpflichtend war für die gesamte Belegschaft der Besuch der Messe am Samstag, die ab 1890 in der werkseigenen Kapelle von einem eigenen Pfarrer abgehalten wurde. Auch ein eigenes Orchester leistete sich Bolle, so konnte er 1898 selbst das kaiserliche Paar mit Messe und Konzert standesgemäß empfangen. Wilhelm II, der als kränkelndes Kind mit Milch aufgepäppelt worden war, hatte Interesse an der Meierei, weil die sonst übliche, mit Wasser gestreckte bläuliche Milch bei Bolle als Naturgetränk ganz in Weiß erstrahlte. Ein anderer Grund für den kaiserlichen Besuch in Moabit war, dass Wilhelm II in Bolle eine Gleichgesinnten erkannte. Beide liebten Neues und beide waren auch in Sachen Elektro-Autos Vorreiter. Die umweltfreundlichen Fahrzeuge gehörten um 1900 selbstverständlich zum Fuhrpark des Kaisers und des Unternehmers, bis sie um 1910 von der Verbrennungsmotor-Konkurrenz vom Markt gedrängt wurden. Über den kaiserlichen Besuch erzählte man sich, die Kaiserin habe sich nach den Preisen erkundigt, während der Kaiser sich lange mit einem Kutscher unterhalten habe. Hätte Bolle einer höheren Schicht angehört, wäre er sicher in den Adel erhoben worden, so wurde ihm – leider erst kurz vor seinem Tod – nur der Titel geheimer Kommerzienrat verliehen.

Über Bolles Privatleben ist wenig bekannt – vielleicht auch, weil er von morgens um 3 Uhr bis abends um 20 Uhr im Betrieb zu finden war. Zwar soll er mit seiner Frau zwei Söhne gehabt haben, aber keiner seiner Nachkommen konnte seine Position einnehmen. Die Fähigkeit, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, groß zu denken und Neues als Chance zu begreifen, hatte er nicht vererbt. Nach Bolles Tod wurde sein marktbeherrschendes Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Location heute erinnert an die glanzvollen Zeiten des Unternehmens und wer weiß, vielleicht hätte Bolle als Networker und sozial denkender Mensch doch noch Gefallen daran gefunden, Erfolge (ausgelassen) zu feiern. Die perfekte Location dazu hat er – ungewollt – hinterlassen.

Dass die Gebäude heute noch so gut erhalten sind, verdanken wir dem Werhahn-Konzern, der 1917 die Meierei aufkaufte und ein Bolle-Supermarktimperium aufbaute. Die Milchproduktion wurde 1969 eingestellt. In den 1990er Jahren wurde die Meierei als Produktionsstätte endgültig still gelegt und als Büro- und Gewerbepark Spreebogen vor neue Aufgaben gestellt. Das AMERON Hotel ABION in der alten Meierei erinnert heute an Bolles Zeiten und verweist auf die Funktionen der einzelnen Gebäudeteile von vor 100 Jahren. Mit gut 3000 Quadratmetern Veranstaltungsfläche sind die Bolle Festsäle eine vielseitige Eventlocation für Berliner, Konzerne, Stiftungen und Veranstalter von Awards, Tagungen und Galas. Die großzügige Architektur der späten Gründerzeit, die restaurierten alten gusseisernen Säulen, die Pflastersteine, das Holz und die Backsteinwände verbreiten ein ganz besonderes Berliner Flair, das Bolles Lebenswerk auf ästhetische Weise ein Denkmal setzt.

Von admin