Das Deutsche Historische Museum hat den Willkomm-Becher der Fürsten von Oettingen-Wallerstein erworben. Dank der großzügigen Unterstützung des Museumsvereins und der Kulturstiftung der Länder konnte das Museum den kunst- und kulturgeschichtlich herausragenden gläsernen Becher aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts für seine Sammlung Angewandte Kunst ankaufen. Das weltweit äußerst seltene Renaissanceglas befand sich über Jahrhunderte im Familienbesitz und wird nun vom Deutschen Historischen Museum zunächst erforscht und in Zukunft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Fritz Backhaus, Sammlungsdirektor der Stiftung Deutsches Historisches Museum: „Wir sind sehr dankbar, dass dieses einzigartige und hervorragend erhaltene Zeugnis deutsch-europäischer Geschichte im Zeitalter der Glaubensspaltung für unsere Sammlung gesichert werden konnte. Besonders in Hinblick auf unsere künftige Ständige Ausstellung, die wir in den nächsten Jahren konzipieren werden, ist der Oettingen-Willkomm ein großer Gewinn. Anhand dieses Schlüsselwerks einer bewegten Epoche werden unsere Besucherinnen und Besucher künftig besonders anschaulich die politisch-religiösen Verhältnisse und die höfische Kultur der frühen Neuzeit kennenlernen.”
Ulrich Deppendorf, Vorsitzender des Museumsvereins: „Dieses filigrane Objekt hat mich sehr überrascht: Frauen und Männer, manche protestantisch, manche katholisch, haben sich während des Dreißigjährigen Krieges friedlich nebeneinander auf dem Glas verewigt. Der Bitte des Deutschen Historischen Museums, den Ankauf zu unterstützen, ist der Museumsverein sehr gerne nachgekommen. Ich bin gespannt, was das DHM über und an diesem Objekt den Besucherinnen und Besuchern zeigen und erklären wird.”
Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder: „Der Willkomm-Becher der Familie Oettingen ist einzigartig in seiner Gestaltung als ,gläsernes Geschichtsbuch´. Nur wenige vergleichbare Objekte sind heute bekannt oder erhalten. Wie durch ein Brennglas erzählt der Becher von den territorialen und dynastischen Verbindungen der Familie Oettingen. Gleichzeitig zeigt er die Signaturen wichtiger Personen und Daten der deutschen und europäischen Geschichte im Zeitalter der Reformation. Deshalb freue ich mich, dass wir dem Deutschen Historischen Museum dabei helfen konnten, diesen Becher für seine neue Dauerausstellung zu erwerben.”
Der „Oettingen-Willkomm” diente als Prunkgefäß für hochrangige Gäste des Oettinginschen Stammsitzes, der Harburg im bayrischen Landkreis Donau-Ries. Mehr als 30 Besucherinnen und Besucher – darunter Adelige, Landesherrn, Hofprediger, Heerführer und Generäle – gravierten ihre Namen, Titulaturen und Jahreszahlen mit einer Diamantnadel in das „Gästebuch aus Glas”. Der fragile achteckige Becher ist nach derzeitigem Stand das bislang früheste bekannte Zeugnis dieser kulturellen Praxis. Zugleich spiegeln die Inschriften der Gebrauchsspanne von 1548 bis 1650 die territorialen und dynastischen Verbindungen der Gastgeber sowie die politischen Wirren der Religionskriege wieder. Bedeutende historische Ereignisse wie die Schlacht bei Nördlingen (1634) und die Ulmer Friedensverhandlungen (1647), die das Ende des Dreißigjährigen Krieges einleiteten, sind durch die Daten und Akteure auf dem Glas verewigt.
Der „Oettingen-Willkomm” befand sich zuvor mehr als 500 Jahre im Besitz der Familie Oettingen-Wallerstein. Die Oettingen waren ein fränkisch-schwäbisches Adelsgeschlecht, das 1674 in den Fürstenstand erhoben wurde, sowie Landesherren der reichsunmittelbaren Grafschaft Oettingen im Riesgau, gelegen im heutigen Nordschwaben. Dieses Territorium war im 16. und 17. Jahrhundert ein umkämpfter Hauptschauplatz der Reformationswirren, was indirekt auch das kleine Trinkgefäß wiederspiegelt: Der früheste Namenseintrag aus dem Jahr 1548 stammt von Georg Karg, der auf Empfehlung Martin Luthers 1539 Hofprediger in Oettingen wurde, bevor er nach einem Konflikt nach Schwabach floh. Es folgten Namen und Devisen von Vertreterinnen und Vertretern des überwiegend protestantischen Hochadels in Süddeutschland. Die beiden häufigsten Daten – 1634 und 1647 – stehen höchstwahrscheinlich in Zusammenhang mit der Schlacht bei Nördlingen im Jahr 1634 und dem Ulmer Waffenstillstand von 1647.
Deutsches Historisches Museum, Foto: Sebastian Ahlers