Über 700 Gäste folgten der Einladung von Bio-Bauern, -Verarbeitern und -Händlern auf den 5. Bio-Empfang des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) auf die Grüne Woche. Beim Messehighlight kamen Politiker aus dem In- und Ausland, Vertreter zivilgesellschaftlicher Gruppen, der Forschung und Presse, Bauern, Händler und Lebensmittel-hersteller in entspannter Atmosphäre und bei Bio-Essen über die Zukunft von Landwirtschaft und Ernährung ins Gespräch.

BÖLW-Vorsitzender Felix Prinz zu Löwenstein beschrieb den Gästen die Chancen, die Öko der heimischen Wirtschaft, Umwelt und Klima bietet. An Bundesministerin Klöckner appellierte Löwenstein, Bio noch entschlossener für den notwendigen Umbau der Landwirtschaft zu nutzen als bisher. Dazu müsste Deutschland sich in Brüssel und Berlin für eine ambitionierte Reform der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) einsetzen. 70 % der EU-Agrargelder müssten künftig dieBauern honorieren, die mehr tun für Umwelt, Tiere und Klima.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner sagte auf dem Bio-Empfang, dass Bio bei vielen Verbrauchern angekommen sei und jeder Zweite beim Einkauf auf das Bio-Siegel achte. Klöckner betonte, dass sie für positive Rahmenbedingungen sorgen wolle, damit Betriebe auf Öko umstellen können. Bis 2030 solle das Ziel von 20 % Öko-Flächen aus dem Koalitionsvertrag und der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie erreicht werden. Die maßgeblichen Stellschrauben seien bereits in der Zukunftsstrategie ökologischer Landbau (ZöL) angelegt worden. Ziel sei es auch, den Bio-Anteil in der Gemeinschaftsverpflegung öffentlicher und privater Einrichtungen zu steigern. Klöckner setze sich zudem für eine GAP ein, mit der Einkommen unterstützt und ein zielgerichteter Beitrag zum Schutz von Klima, Ressourcen und biologischer Vielfalt geleistet wird. Dabei spielten 1. und 2. Säule eine wichtige Rollen. Derzeit prüfe man verschiedene Möglichkeiten zu deren Ausgestaltung.

Der schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister Jan Philipp Albrecht betonte, dass es mit Blick auf die EU-Agrarpolitik jetzt wichtig sei zu handeln. Das Agrar-Fördersystem müsse künftig Gemeinwohlleistungen honorieren und nicht Landbesitz. Für das von Bundesministerin Klöckner geplante ‚Tierwohllabel‘ forderte Albrecht die Umsetzung des einstimmigen Beschlusses der Länderagrarminister, die sich für eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung einsetzten, die Bio als eigene Stufe einschließt.

Bis spät in die Nacht wurden diese und andere Themen bei Bio-Essen und -Getränken weiter diskutiert.

„Wir danken den zahlreichen Bio-Unternehmen, die den Empfang ermöglicht haben, insbesondere der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall und Freiland Puten Fahrenzhausen“, so Löwenstein abschließend.

Mit Blick auf die Großdemo ‚Der Agrarindustrie den Geldhahn abdrehen!‘ sagte Löwenstein: „35.000 Bauern, Städter, Tier- und Umweltschützer, Imker und Lebensmittelproduzenten sowie 171 Trecker setzten am Sonnabend gemeinsam ein starkes Zeichen für eine GAP, die künftig Bauern beim Umwelt-, Klima- und Tierschutz honorieren soll, statt einfach nur den Flächenbesitz.

 

 

 

 

Agrar- und Ernährungspolitik: “Viel Luft nach oben”
Politik-Check zum Start der Grünen Woche
Berlin, 16.01.2019. Anlässlich der Internationalen Grünen Woche macht der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) den Politik-Check. “Die Frage, die wir gestellt haben”, so Felix Prinz zu Löwenstein, BÖLW-Vorsitzender, „lautet: Wie enkeltauglich ist die Landwirtschafts- und Ernährungspolitik der Bundesregierung und wie steht es dabei um Bio? Wir stellen fest, dass in der Agrar- und Ernährungspolitik noch viel Luft nach oben ist. Die positive Entwicklung bei Bio zeigt: Hier geht noch mehr!”

Alexander Gerber, BÖLW-Vorstand für Landwirtschaft, stellt mit Blick auf die Reform der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) fest:

“Dürrejahr, Höfesterben, Überdüngung und Artenschwund zeigen, dass Politik in der Landwirtschaft wirksam umsteuern muss. Die Bundesregierung benennt zwar diese Themen, wird aber nicht ausreichend aktiv – trotz ihrer Ziele im Koalitionsvertrag, obwohl die Wissenschaft den Umbau anmahnt und die Bürger sich dringend eine nachhaltige Landwirtschaft wünschen.

Bio-Bauern gehen hier seit Jahrzehnten voran. Und zeigen, wie Pflanzen ohne chemisch-synthetische Pestizide gesund bleiben und das Wasser sauber, wie Tiere artgerecht gehalten werden. Und Bio-Landwirte tragen zum Klimaschutz bei.

Bei der EU-Agrarpolitik, die mit 60 Mrd. Euro jedes Jahr bestimmt, welche Landwirtschaft sich für die Betriebe lohnt, muss jetzt konsequent umgesteuert werden. Politischer Wille ist am Verhandlungstisch in Brüssel und hier in Deutschland gefragt. Denn jeder EU-Staat soll ab 2020 viel mehr Spielraum bekommen, die Agrarpolitik zu gestalten.

Doch ob in Brüssel oder Berlin: Landwirtschaftsministerin Klöckner erklärt bis heute nicht, wie sie ihr Ziel ‘Tier-, Natur- und Klimaschutz sowie die Wahrung sozialer Standards im öffentlichen Interesse’ mit der neuen GAP erreichen will. Und auch zur Rolle von Bio bei der künftigen EU-Agrarpolitik gibt es bisher keinen Kommentar.

Wir fordern, dass 70 % der EU-Agrargelder die Bauern honorieren, die mehr tun für Umwelt, Tiere und Klima.”

Ergebnis des Politik-Checks zur GAP

Gerber: „Agrarpolitischer Nebel – jetzt in Brüssel und Berlin ambitionierte Reform umsetzen, damit die Bauern honoriert werden, die Tiere, Umwelt und Klima schützen.“

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Volker Krause, BÖLW-Vorstand für Verarbeitung, stellt mit Blick auf die Ernährungspolitik fest:

„Ernährungsbedingte Gesundheitskosten von 300 Mio. Euro am Tag sind ein klarer Arbeitsauftrag an die Politik. Die Idee, laut Koalitionsvertrag einen ‘gesunderhaltenden und nachhaltigen Lebensstil fördern‘ zu wollen, ist daher richtig.

Was Ernährungsministerin Klöckner dafür tut, genügt allerdings nicht. Denn anstatt eine umfassende Ernährungsstrategie mit entsprechenden Maßnahmen und Finanzierung aufzusetzen, bleibt es bisher bei einzelnen, zumeist ‘technischen’ Nischenlösungen mit einer dünnen finanziellen Ausstattung. Zucker in Fertigprodukten durch ‚neuartige Zucker‘ auszutauschen, wird die Probleme nicht lösen!

Wenn Mensch und Umwelt nachhaltig gesund bleiben sollen, brauchen wir deutlich mehr. Politischer Wille ist gefragt. Diejenigen, die heute etwa schon mit mehr und besserer Ernährungsbildung oder gesunden Rezepten in ihren Produkten vorangehen, brauchen Rückendeckung!

Vor allem muss die Bundesregierung endlich ihren wichtigsten, direkten Hebel nutzen: In der öffentlichen Verpflegung in den eigenen Einrichtungen Bio-Lebensmittel einsetzen. Mit gutem Bio-Essen lernen Jung und Alt in Kantine, Schule, Kita oder Krankenhaus gesundes Essen zu schätzen. Andere Länder wie Dänemark sind hier schon viel weiter!“

Ergebnis des Politik-Checks zur Ernährungspolitik

Krause: “Ernährungspolitische Nischenlösungen genügen nicht – Ernährungsstrategie braucht politischen Willen, verbindliche Ziele und wirksame Maßnahmen.“

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Elke Röder, BÖLW-Vorstand für Handel fordert:

“86 % der Menschen wollen wissen, wie die Tiere gehalten, deren Fleisch sie essen, sagt der aktuelle Ernährungsreport von Bundesministerin Klöckner.

Die Bürger kennen die Eierkennzeichnung und vertrauen dem Bio-Siegel als wichtigstes Kennzeichen für gute Lebensmittel.

Julia Klöckner plant trotzdem einen Sonderweg, der mehr Verwirrung als Klarheit für die Kunden und sehr wenig für die Tiere bringen würde. Klöckners staatliches ‚Tierwohllabel‘ soll nicht verpflichtend sein. Der gesetzliche Mindeststandard – und damit das Gros der Produkte – sollen ungelabelt bleiben.

Die Einstiegsstufe fällt nach dem derzeitigen Stand der Diskussion hinter dem zurück, was Tierschützer fordern, was sich Klöckner selbst vorgenommen hatte und was gesetzlich gefordert wird.

Würde es bei den Punkten bleiben, die hinsichtlich Schlachtung oder Transport als Verbesserung im ‚Tierwohllabel‘ genannt werden, könnte nicht mehr entstehen als eine Mogelpackung. Denn damit würden lediglich die gesetzlichen Mindestanforderungen konkretisiert. Ein staatliches ‚Tierwohllabel‘ sollte aber keine Werbung mit Selbstverständlichkeiten betreiben.

Was fehlt, ist eine eigene Stufe für Bio. Die Bio-Anforderungen liegen beispielsweise beim Schwein deutlich über dem, was in der ‚strengsten‘ konventionellen Stufe gefordert ist. So haben Bio-Schweine beispielsweise 50 % mehr Platz. Mit der vom Kunden längst gelernten, vierstufigen Kennzeichnung von Eiern gibt es dafür ein funktionierendes Vorbild.“

Ergebnis des Politik-Checks zur Tierhaltung

Röder: “Gut gemeint, aber noch nicht gut gemacht”

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Felix Löwenstein, BÖLW-Vorsitzender, fasst zusammen:

“Das Ergebnis unseres Politik-Checks ist eindeutig: Bei der Agrar- und Ernährungspolitik der Bundesregierung ist viel Luft nach oben.

Denn auch wenn Julia Klöckner und ihre Kollegen erkannt haben, dass sich was verändern muss, ziehen sie daraus bisher kaum echte Konsequenzen.

Enkeltauglich wird Landwirtschaft und Ernährung mit ein wenig Digitalisierung hier oder ein paar Nischenlösungen dort nicht.

Dabei muss die Politik jetzt dringend radikalen Realismus an den Tag legen.

Viele Bundesländer setzen deshalb schon stark auf Bio. Mit Öko-Aktionsplänen tragen sie dazu bei, dass immer mehr Bauern umstellen. Das ist gut für die Kunden, die am liebsten heimisches Bio kaufen. Und gut für Biene, Regenwurm, Trinkwasser und Klima – denn mehr Bio vor Ort heißt auch, dass die gesellschaftlichen Leistungen den Menschen in der Region zu Gute kommen.”

Gesamtergebnis des Politik-Checks 2019

Prinz zu Löwenstein: „Viel Luft nach oben – für enkeltaugliche Landwirtschaft und Ernährung muss Bundesregierung jetzt anfangen, konsequent zu handeln“

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Entscheidend für enkeltaugliche Landwirtschaft und Ernährung ist besonders:

Öko stärken! Das Koalitionsvertrags-Ziel von 20 % Öko-Landbau bis 2030 der Bundesregierung muss durch konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Dazu muss die Zukunftsstrategie Öko-Landbau (ZöL) umgesetzt sowie mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden. Bio muss in allen relevanten Vorhaben der Bundesregierung angemessen berücksichtigt werden.
Agrarpolitik umbauen! Die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) muss darauf ausgerichtet werden, dass die Bauern honoriert werden, die Umwelt, Klima und Tiere schützen.
Wirksam kennzeichnen! Produkte aus guter Tierhaltung kann man bereits heute erkennen: am Bio-Siegel. Was fehlt, ist eine verpflichtende Haltungskennzeichnung wie beim Ei, die mittelfristig zu einer europäischen Kennzeichnung taugt. Eine staatliche, freiwillige Kennzeichnung, die nur einen Teil der Produkte abdeckt, reicht nicht.
Gesunde Ernährung stärken! Der Bund sollte endlich mit mehr Bio die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung als wirksames Instrument für eine gesunde Ernährung nutzen und Ernährungsbildung voranbringen – vor allem in Kita und Schule.
Nachhaltige Forschung ausbauen! Es muss sichergestellt werden, dass Forschung auf die Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie ausgerichtet wird. Wer heute 20 % Bio anstrebt, muss auch ausreichend in Forschung investieren, um das Innovationspotential von Bio voll zu heben. Aktuell werden nur etwa 1,5 % der Agrarforschungsmittel für Bio-Themen investiert.
Gentechnik und Patente: Die neue Bundesregierung muss sicherstellen, dass Verbote der Patentierung von Pflanzen und Tieren tatsächlich wirksam werden. Neuartige Gentechnikverfahren sind Gentechnik, so hat das höchste europäische Gericht entschieden. Konstrukte von CRISPR-Cas und Co. müssen dementsprechend als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) reguliert und gekennzeichnet werden.

Von admin