Das Team um Hajo Seppelt mit Wigbert Löer, Jörg Winterfeldt und Peter Wozny erhalten für die investigative Reportage „Geheimsache Doping: Dealer. Die Hintermänner des Dopings“ den 1. Preis +++ „Die besondere Auszeichnung“ wird an Sonja Zekri (SZ) verliehen +++ Erneut werden ein Newcomerpreis, ein Medienprojektpreis und drei Recherche-Stipendien vergeben +++ Die Preisverleihung findet am 23. November in Berlin statt +++ Die OBS verbindet die Preisverleihung mit ihrer Jahrestagung zur Lage OstOstdeutschlands in Zeiten der „Poly-Krise“ und vor dem Superwahljahr 2024 +++ Über „Reform und Zukunft des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ spricht Prof. Dr. Leonhard Dobusch, Mitglied im ZDF-Verwaltungsrat, in seiner Festrede +++ Jahrestagung und Preisverleihung konnten am 23. November ab 14.00 Uhr im Livestream verfolgt werden

 

Den renommierten und mit 10.000 Euro dotierten 1. Preis für kritischen Journalismus der Otto Brenner Stiftung erhalten in diesem Jahr Wigbert Löer, Hajo Seppelt, Jörg Winterfeldt und Peter Wozny

Nach zahlreichen Dokumentationen über Doping im Sport erweisen sich die Spezialisten von EyeOpening.Media als „Marathonläufer des kritischen Sportjournalismus“, die in einen neuen Bereich vorgedrungen sind: den der Hintermänner, der Produzenten und Händler verbotener Steroide. Die Journalisten zeigen, wie grenzüberschreitend dieses kriminelle Geschäft ist. Drei Jahre lang recherchierten sie international in Mumbai, Belfast, London, Singapur, Kopenhagen, Polen und Paraguay. Neben der sportlichen Korruption lenken sie den Blick auf die gesundheitliche Gefährdung auch von Amateursportler*innen, die Anabolika-Händler billigend in Kauf nehmen. Die Jury schreibt: „Der Film lebt von Berichten der Autoren, er lebt von starken Bildern und von der Enthüllung in Indien: Trotz Gefängnisstrafe macht ein Dealer dort weiter, wo er kurzzeitig aufgehört hatte.“ Nach Einschätzung der Brenner-Preis-Jury ist der Film „Geheimsache Doping: Dealer. Die Hintermänner des Dopings“ eine „erneute Spitzenleistung des investigativen Sportjournalismus“.

Fritz Schaap erhält den 2. Preis (5.000 Euro) für seine eindrucksvolle Reportage „Zwischen den Fronten“.

Sein Beitrag, erschienen im Spiegel, beleuchtet die alarmierende Lage in Nigeria. Das prämierte Stück ist aus Sicht der Jury „das Protokoll des Verfalls staatlicher Autorität, es ist das Porträt eines schwachen Staates kurz vor dessen endgültigem Scheitern“. Das Land befand sich bereits vor den Wahlen im Februar 2023 in einer Spirale aus Gewalt, Terrorismus sowie ethnischen und religiösen Konflikten. Fritz Schaap lenkt konzentriert den Blick auf den Zerfall des riesigen afrikanischen Staates, „der sich abseits der großen Aufmerksamkeit vollzieht“. Er beschreibt die Not, die scheinbar aussichtslose Situation der Menschen, Dürre und Wüstenausbreitung als Folgen der Klimakrise, die prekäre Sicherheitslage und die Korruption innerhalb der staatlichen Organe. Er tut dies nach Einschätzung der Jury „mit fundierter Sachkenntnis und mit akribischer Leidenschaft“. Was es heißt, wenn ein Staat „seine grundlegenden Funktionen nicht mehr erfüllen kann“, das wird in Fritz Schaaps „eindrucksvoller Reportage“ schmerzhaft deutlich. Und sein „ausgezeichnetes Beispiel für journalistische Aufklärung“ zeigt, mit den Worten der Jury, „warum gute Auslandsberichterstattung so Not tut“.

Der 3. Preis (3.000 Euro) geht an Carmen Maiwald und Vanessa Materla für ihre Reportage „Das System Zalando“.

In einem gemeinsamen Projekt der Wochenzeitung Die Zeit mit dem Investigativ-Format „Vollbild“ des SWR und dem Recherche-Start-Up Flip sind sie den Spuren retournierter Waren gefolgt. Online-Bestellungen und deren Retouren verursachen Unmengen an Verpackungsmüll, hohe CO2-Ausstöße durch Transportwege und schließlich enorme Abfallberge durch ungenutzte Waren. In Europa ist vor allem Zalando einer der großen Profiteure der Online-Fast-Fashion. Mit einem ökologischen und klimaneutralen Image verspricht der Konzern einen Online-Kaufrausch ohne schlechtes Gewissen. Das Berliner Unternehmen mit rund 50 Millionen Kund*innen hat 2019 das Ziel verkündet, zur „nachhaltigen Modeplattform“ zu werden. Dass es damit nicht weit her ist, zeigen die beiden Journalistinnen in ihrer „beispielhaften und systematischen Recherche“. LKW mit Zalando-Retouren kreisen durch ganz Europa, um dem Konzern Lagerkosten zu sparen. Eindrucksvoll belegt das Recherche-Team nach Auffassung der Jury, dass Nachhaltigkeit bei diesem Online-Shop „ein leeres Versprechen ist“.

Mit der „Besonderen Auszeichnung“, dotiert mit 10.000 Euro, ehrt die Jury Sonja Zekri.

Mit ihrer „brillanten Schreibe“ erfüllt sie ihre Aufgabe bei der Süddeutsche Zeitung seit Jahren mit Bravour, sei es als Korrespondentin, Feuilleton-Redakteurin oder Ressortleiterin des Feuilletons, hebt die Jury hervor. „Ihre Reportagen aus der islamischen Welt und dem russisch-ukrainischen Kulturkreis stiften mit lebensnaher Einfühlung für die geschilderten Protagonist*innen ein unbefangenes Verständnis für andere Kulturen.“ Die Jury lobt ihre Arbeiten als „Meisterwerke der Aufklärung mit journalistischen Mitteln“. Zudem leiste die Autorin mit ihren beeindruckenden Analysen über die großen Konflikte unserer Zeit – vom Krieg in der Ukraine bis zur Seuche der Desinformation – „einen unverzichtbaren Beitrag gegen die verheerende Polarisierung im politischen Diskurs“. Dass Sonja Zekri stets dagegenhält, „wenn das Feindbild wichtiger wird als das Verständnis von Zusammenhang und Kontext“, verdiene besondere Anerkennung.

Der Newcomerpreis, dotiert mit 2.000 Euro, geht an Tim Morgenstern für sein Dossier „Grüne Schale, brauner Kern“ im Kölner Stadt-Anzeiger.

Der prämierte Beitrag ist das Ergebnis monatelanger, zum Teil verdeckter Recherchen in rechten Bewegungen in NRW. Im Fokus steht das Erstarken der sogenannten „Anastasia-Bewegung“, hinter deren esoterischem Deckmantel sich rechte Ideologie verbirgt. Morgenstern konnte Verbindungen zu Reichsbürger*innen und weiteren Rechtsesoteriker*innen nachweisen. Nach Einschätzung der Brenner-Jury hat der erst 22-jährige Newcomer Morgenstern drei elementare Reporteraufgaben bravourös umgesetzt: „Erstens Geduld, zweitens Recherche – und drittens: großen Mut“. Rechtsextremistische Bewegungen und Strukturen zu enttarnen und darüber zu berichten, so die Jury, „birgt immer ein Risiko“. Das Risiko sei für Lokaljournalist*innen noch höher, betont die Jury, weil „sie viel greifbarer für die Objekte ihrer Arbeit sind“. Das verdiene Respekt und den diesjährigen Newcomerpreis.

Im Wettbewerb um die Brenner-Preise zeichnet die Jury auch innovative und wegweisende Medienprojekte mit 2.000 Euro aus.

Der Preis geht dieses Mal an die Nordstadtblogger, die sich vor 10 Jahren in Dortmund zu einer zivilgesellschaftlichen Initiative zusammenfanden. Anlass dafür war – neben der damaligen rechten Domianz, die Dortmund zur rechten Hochburg in Westdeutschland machte – die Schließung von zwei der drei Lokalredaktionen und die damit aus ihrer Sicht verbundene „mediale Einfalt“. Daneben bestand die Stigmatisierung der Nordstadt durch die mediale Reduzierung auf „Rotlicht- und Blaulicht-Themen“. Dagegen, betont die Jury, stellen sich die Nordstadtblogger „mit antifaschistischer Aufklärung und langem Atem bei stets prekärer Finanzierung“. Rechtsextremismus steht im Fokus, aber auch über angrenzende Themenbereiche wie Migration oder Mobilität bis hin zu Gastronomie und Kunst in Dortmund wird berichtet. Die Jury sieht in der Arbeit der Nordstadtblogger ein „einzigartiges Medienprojekt“ und „ein vitales kritisches Korrektiv“, das zur Nachahmung einlädt. Das Team erhält diesen „Preis für sein ehrenamtliches Engagement, für die hohe Kontinuität seiner journalistischen Arbeit und für die nicht nachlassende Demonstration, dass die Demokratie den Rechten nicht wehrlos gegenübersteht“.

Die Jury vergibt in diesem Jahr wieder drei Recherche-Stipendien, die auf Wunsch der Antragsteller*innen alle „verdeckt“ geführt werden. Ein Stipendium will aufdecken, wie deutsche Behörden Geflüchtete verpflichten, in der Berliner Botschaft ihres „Heimatlands“ persönlich einen „gültigen Reisepass“ zu beantragen. Welche Konsequenzen haben diese oftmals gefährlichen Kontakte für die Betroffenen? Ein zweites Recherche-Stipendium geht der Frage nach, ob und wie Geflüchtete auf Arbeitsmärkten systematisch ausgebeutet werden. Das OBS-Stipendium deckt den bundesrepublikanischen Teil einer länderübergreifenden Recherche mehrerer Teams ab, die europaweit agieren. Das dritte Stipendium befasst sich mit dem Importvorhaben Deutschlands, bereits in wenigen Jahren Wasserstoff und Ammoniak aus Afrika zu beziehen. Eines der größten Projekte befindet sich in Namibia. Es geht unter anderem um ökologische Gefahren, um die Berücksichtigung lokaler Interessen und die ökonomische Sinnhaftigkeit. Die verdeckte Recherche geht der Frage nach, wie „grün“ und fair Wasserstoffprojekte in Afrika sind.

Die Otto Brenner Stiftung verleiht 2023 den Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus zum 19. Mal. Prämiert werden journalistische Arbeiten, die das Motto der Ausschreibung „Gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten“ beispielhaft umgesetzt haben. Aus mehr als 550 Bewerbungen wählte die Jury am 19. September in Frankfurt am Main die Preisträger*innen in den fünf Kategorien aus. Das Preisgeld beträgt insgesamt 47.000 Euro.

Jurymitglieder sind: die freie Journalistin und Medienexpertin Brigitte Baetz (u.a. Deutschlandfunk, Sendung „mediasres“), Korrespondentin Nicole Diekmann (ZDF-Hauptstadtstudio Berlin), Prof. Dr. Volker Lilienthal (Universität Hamburg, Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Qualitätsjournalismus), Henriette Löwisch (Leiterin der Deutschen Journalistenschule in München, DJS), Prof. Dr. Heribert Prantl (Kolumnist und Autor, Süddeutsche Zeitung), Harald Schumann (Mitbegründer Investigate Europe, Redakteur für besondere Aufgaben, Der Tagesspiegel) sowie Jörg Hofmann (Erster Vorsitzender der IG Metall und OBS-Verwaltungsratsvorsitzender).

Von admin