„Der Wandel sind wir.“ – Unter diesem Motto eröffnete heute die Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Marija Kolak, vor rund 900 Vorständen der genossenschaftlichen FinanzGruppe die 79. Bankwirtschaftliche Tagung der Volksbanken und Raiffeisenbanken. Hauptredner des alljährlichen Spitzentreffens der Genossenschaftsbanken war Bundeskanzler Olaf Scholz.
Kolak betonte in ihrer Eröffnungsrede, Deutschland benötige eine langfristige und umfassende Strategie, um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahre erfolgreich zu bewältigen. „Wenn aber unsere soziale Marktwirtschaft von zu vielen Vorschriften behindert wird, dann verliert der Standort an Tempo“, so Kolak. Um die Schwäche des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu überwinden, benannte die BVR-Präsidentin fünf Punkte für eine Wachstumsagenda:
- Einhaltung der Schuldenbremse durch eine Priorisierung der Ausgaben
- Steuern und Abgaben senken
- Fachkräfte-Einwanderung stärken
- Die Kapitalmarktunion vorantreiben, aber nicht zulasten der Kreditfinanzierung für den deutschen Mittelstand
- Gute Bildung für alle
Ein zentraler Punkt in Kolaks Rede ist der Appell an die deutsche und europäische Politik, die dezentrale Bankenstruktur in Deutschland zu bewahren, weil sie essenziell für die Finanzierung der regionalen Wirtschaft sei. Der Vorschlag zur Überarbeitung des Krisenmanagements für Banken (CMDI) gefährde allerdings diese Bankenstruktur. Kolak: „Seit 90 Jahren schützen wir rein privat finanziert die Solvenz der genossenschaftlichen Institute. Das schafft Vertrauen in allen Regionen unseres Landes. Nun wird dieses Vertrauen in Frage gestellt.“ Kolak appellierte deshalb insbesondere an den Rat der Europäischen Union, die Fehler zu korrigieren.
Die BVR-Präsidentin fordert ferner, die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Banken als Bestandteil der satzungsmäßigen Aufgabe der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu verankern. Diese sei im Moment ausschließlich auf die Reduzierung von Risiken gerichtet. „Es werden immer höhere Kapitalpuffer und Berichtspflichten festgelegt, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Banken – auch im internationalen Vergleich – zu berücksichtigen“, so Kolak. Damit werde die Kreditwirtschaft im Ergebnis darin beschränkt, über die Kreditvergabe die Transformation zu finanzieren. Gerade in Deutschland spielen Kredite jedoch eine wichtige Rolle als Treiber für Veränderungen.
Bundeskanzler Olaf Scholz ging in seiner Rede auf die Bedeutung der deutschen Genossenschaftsbanken ein. Der Kanzler sagte: „Vor 170 Jahren ganz sprichwörtlich aus tiefster Not geboren, stehen die Volksbanken und Raiffeisenbanken heute ganz zentral für das Wohlstandsversprechen unseres Landes. Gleichzeitig helfen Genossenschaftsmodelle auch heute noch Frauen und Männern weltweit, selbstbestimmt ihren Weg aus der Armut zu gehen.
Und nicht umsonst wurde die Genossenschaftsidee 2016 auf Vorschlag Deutschlands als immaterielles Kulturerbe der Menschheit von der UNESCO anerkannt. Gemeinsam sind wir stärker. Das ist eine Erfolgsgeschichte aus Deutschland und weltweit.“
Diese Erfolgsgeschichte gilt es in die Zukunft zu tragen und auch junge Menschen für unsere Idee zu begeistern. Dafür hat der BVR den ThinkTank „Neonblau“ gegründet, die GenZConsultancy der Volksbanken Raiffeisenbanken, die künftig mit in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Kolak: „Die Zeit mit den jungen Menschen, die Diskussionen und die anderen Perspektiven sind sehr wertvoll. Dann lerne ich: Der Anspruch an den Wandel fordert jeden Einzelnen von uns. Auch wir müssen uns verändern, neu denken, anders denken.“
Sehr geehrte Frau Kolak,
sehr geehrte Frau Müller-Ziegler,
sehr geehrter Herr Quinten,
meine Damen und Herren!
„Die guten alten Zeiten, wo der Nachbar dem Nachbarn auf’s Wort, ohne Schuldschein, aus der Not half, sind vorüber. Mißtrauen ist an Stelle des Vertrauens getreten; ein Bruder hilft kaum noch dem andern; in Geldangelegenheiten hört alle Gemütlichkeit auf.“
Mit dieser Klage beginnt Friedrich Wilhelm Raiffeisen sein Buch über „Darlehenskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung“ von 1866, vielen hier gut bekannt. Untertitel des Buches ‑ ich finde, auf den kommt es an ‑: „Praktische Anleitung“. Raiffeisen blieb nämlich nicht nur bei der Problembeschreibung. Ihm ging es um ganz praktische Linderung der Not, um den Zusammenschluss zur ‑ Zitat ‑ unbedingtesten Selbsthilfe, zur Entfaltung der Kräfte der seinerzeit verarmten Bevölkerung. Die gleiche Idee, gemeinschaftliche Selbsthilfe, trieb Hermann Schulze-Delitzsch an, als er 1849 mit der Gründung einer Schuhmachergenossenschaft die Grundlage der heutigen Volksbanken legte. Gemeinsam sind wir stark. Dieser genossenschaftlichen Idee fühle ich mich sehr verbunden, und zwar auch durch mein Berufsleben. Als ich noch Rechtsanwalt war, habe ich acht Jahre lang als Syndikus den Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften beraten. Das hat mich geprägt. Ich erinnere mich gern daran.
Es waren die Genossenschaftsbanken und ihre Vorläufer, die der genossenschaftlichen Idee in Deutschland zum Durchbruch verhalfen. Die Volks- und Raiffeisenbanken leben diese Idee bis heute. Sie stehen für Vertrauen, Transparenz, und Fairness. Sie stehen als Verbund für Solidarität und Selbstverantwortung. Sie geben Sicherheit, weil sie regional verankert sind und ihre Kundinnen und Kunden persönlich kennen, weil sie auch in schwierigen Zeiten wie zum Beispiel der Coronapandemie und der Energiekrise da waren und Finanzierungen und Liquidität bereitgestellt haben und weil sie jetzt auch bei der Bewältigung der tiefgreifenden Transformation unseres Landes eine zentrale Rolle spielen.
Der Wandel sind wir, unter dieses Motto haben Sie diese Tagung gestellt, und genauso ist es. Sie tragen überall in Deutschland dazu bei, die für Transformation notwendigen privaten Investitionen zu finanzieren und an die richtigen Stellen zu lenken. Gerade unser Mittelstand steht vor großen Investitionen in die Digitalisierung und in eine klimafreundliche Produktion. Dabei ist es von überragender Bedeutung, dass er starke Finanzierungspartner wie die Volks- und Raiffeisenbanken an seiner Seite hat. Denn es ist der deutsche Mittelstand, der mit seiner Flexibilität und beeindruckenden Innovationskraft unsere Wirtschaft seit Jahrzehnten an der Weltspitze hält und der für gute Arbeitsplätze auch in Zukunft steht.
Gleichzeitig stehen die Volks- und Raiffeisenbanken an der Seite der Sparerinnen und Sparer, die etwas fürs Alter anlegen wollen. Sie stehen an der Seite junger Familien, die in die eigenen vier Wände ziehen und ein Haus oder eine Wohnung finanzieren möchten. Sie stehen seit 170 Jahren auch an der Seite ihrer Gemeinden und Landkreise vor Ort. Überall in Deutschland setzen sie sich für zivilgesellschaftliches Engagement und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein, sei es durch Ausstellungen in ihren Filialräumen, durch Sponsoring des lokalen Stadtfestes oder durch die Unterstützung des Sportvereins. Anfang des Jahres habe ich gemeinsam mit Ihnen, Frau Kolak, beispielsweise den Großen Stern des Sports an einen Sportverein in Thüringen verliehen. Gemeinsam sind wir stark, das Motto hat sich auch dort bewährt. Mehr noch: Nur gemeinsam sind wir stark.
Auf diese genossenschaftliche Botschaft kommt es an, gerade jetzt, wo Extremisten und Populisten unser Land spalten und das vereinte Europa zerstören wollen. Für Ihren wichtigen Beitrag zum Wohlstand und zum Zusammenhalt unseres Landes sage ich Ihnen deshalb heute ausdrücklich schönen Dank.
Meine Damen und Herren, der Wandel sind wir, das heißt auch, kaum jemand kennt unsere Wirtschaft und unsere Herausforderungen so in- und auswendig wie die über 700 Genossenschaftsbanken. Kaum jemand ist so nah dran. Kriege und Konflikte, allen voran der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der Klimawandel, die schwächelnde Weltkonjunktur und auch unsere strukturellen Probleme, zum Beispiel Bürokratie,
(Beifall)
Investitionsstau und Arbeitskräftemangel, all das wirkt sich bei den Mitgliedern sowie Kundinnen und Kunden der großen Volksbank Berlin genauso aus wie bei Deutschlands kleinster Bank, der Raiffeisenbank in Gammesfeld. ‑ Reden bildet ja auch, und ich habe gedacht, ich fahre da mal vorbei.
Für uns alle überall in Deutschland sind das gerade Zeiten großer Veränderung. Das bringt natürlich Unsicherheit über die Zukunft mit sich. Unsere Antwort darauf: Wir bleiben nicht bei der Problembeschreibung, wir schaffen praktische Abhilfe.
Über drei Felder will ich sprechen, auf denen es besonders darauf ankommt, das sozusagen im genossenschaftlichen Geist zu tun, weil wir die nötigen Veränderungen nur gemeinsam hinbekommen.
Thema Bürokratie, ein großes Ärgernis für viele Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger und ein realwirtschaftliches Problem. An dem spontanen Beifall hat man gesehen, wie sehr es auf Ihrer Seele lastet. Über Jahrzehnte haben wir wirklich liebevoll ein Bürokratiedickicht angerichtet. Die EU, der Bund, Länder und Gemeinden, alle haben sich viel Mühe gegeben. Es zu lichten, geht nur, indem man sich auch wieder unterhakt, EU, Bund, Länder und Kommunen. Viele frühere Regierungen haben davor kapituliert, weil es wahnsinnig anstrengend ist. Aber damit ist Schluss. Angesichts des Aufbruchs, den wir vor uns haben, können wir es uns schlicht nicht mehr leisten.
Deshalb haben wir uns vergangenes Jahr auf den Deutschlandpakt geeinigt, um Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller und einfacher hinzubekommen. Mit den ersten Beschleunigungspaketen haben wir schon eine Trendwende bei den Ausbauzahlen und auch bei den Genehmigungsdauern für erneuerbare Energien erreicht. Erstmals sind wir fast „on track“, was unsere Ausbauziele betrifft. Das war jahrelang nur gewünscht.
Jetzt machen wir mit der größten Reform des Immissionsschutzgesetzes seit 30 Jahren weiter. Das klingt schon wieder bürokratisch. Aber gerade Prüfunterlagen in diesen Bereichen füllen meterlange Aktenwände. Mir hat auch schon jemand berichtet, er habe zwei Lastwagen gemietet, um seinen Antrag in der Behörde abzugeben. Es wird geprüft, ob ein Windrad oder ein Elektrolyseur negative Auswirkungen auf irgendeine Vogel- oder Blumenart hat. Ich möchte nicht falsch verstanden werden; ich will den Blumen und Vögeln nichts. Aber beim Bau neuer Leitungen, beim Aufbau einer neuen Energieversorgung oder klimafreundlicher Produktion geht es doch gerade um die Umwelt und den Klimaschutz. Uns hierbei selbst im Weg zu stehen, können wir uns auch nicht mehr leisten. Deshalb setzen wir dabei jetzt voll auf digitalisierte Verfahren und mehr Möglichkeiten, diese abzukürzen, auf klarere Fristenregelungen und auf vorzeitigen Baubeginn.
Gerade erst haben wir zudem Unternehmen weiter von unnötiger Bürokratie entlastet. Insgesamt spart das Bürokratieentlastungspaket, das wir im vergangenen Sommer geschnürt haben, unseren Unternehmen rund drei Milliarden Euro jährlich. Das sind aber gar nicht die Dinge, über die ich zuvor gesprochen habe, sondern dabei geht es wirklich um Berichtspflichten und all das, was das Leben mühselig macht. Auch da geht noch was. Wir sind ‑ das wissen wir ‑ noch lange nicht am Ziel. Aber wir treiben diese Aufgabe mit aller Konsequenz voran.
Ganz wichtig ist dabei selbstverständlich der Blick nach Brüssel, von wo die meisten Vorgaben kommen. Ursula von der Leyen hat versprochen, mindestens 25 Prozent der Berichtpflichten abzuschaffen. Wir sagen: Dann mal los!
Das kann im Übrigen auch nur ein Anfang sein. Wir haben uns zusammen mit Frankreich vorgenommen, dass wir nach der Europawahl fest daran bleiben. Darüber gibt es eine sehr präzise Verabredung zwischen dem französischen Präsidenten und mir. Wir werden dafür sorgen, dass Bürokratieabbau eines der Kernanliegen der neuen Europäischen Kommission wird.
Dazu gehört für mich auch eine Überprüfung und Vereinfachung des Finanzmarktregelwerks, besonders bei den Berichts- und Meldepflichten. Das gilt insbesondere auch für kleinere und mittlere Banken. Schon als Finanzminister ‑ das wissen einige hier ‑ habe ich mich für mehr Verhältnismäßigkeit in der Bankenregulierung stark gemacht, insbesondere mit Blick auf die deutschen Sparkassen und Volksbanken.
Zweites großes Thema: Arbeitskräfte. ‑ Eine gute Nachricht für den Standort ist: Wir haben so viele Beschäftigte wie noch nie in Deutschland. ‑ Die schlechte: Überall bleiben Arbeitsplätze unbesetzt. Es ist dieser Mangel an Arbeitskräften, der unser Wachstumspotenzial, das die Volkswirte und Volkswirtinnen immer errechnen, perspektivisch am stärksten bremst. Deswegen setzen wir gerade alle Hebel in Bewegung, um mehr qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland zu haben. Wir unterstützen bei der Aus- und Weiterbildung in den Unternehmen. Wir investieren in den Ausbau der Ganztagesbetreuung. Wir fördern KI-Investitionen in den Unternehmen, um die knappe Ressource Arbeitskraft effektiver einzusetzen. Ich setze ich mich auch dafür ein, dass es noch attraktiver wird, freiwillig über den gesetzlichen Renteneintritt hinaus zu arbeiten. Es geht um Freiwilligkeit. Das wäre ja schon etwas. Über das Wie sprechen wir auch in unserer Regierung.
Unter dem Strich bleibt es aber dabei, dass wir auch Arbeitskräfte von außerhalb Deutschlands brauchen. Deswegen haben wir das Fachkräfteeinwanderungsgesetz geschaffen. Es soll dabei helfen, dass wir als Land mit den modernsten rechtlichen Rahmenbedingungen es schaffen können, durch unsere Offenheit wirtschaftliches Wachstum auch in der Zukunft zu ermöglichen. Wie sehr das notwendig ist, kann man daran sehen, dass es ziemlich düstere Vorausrechnungen für manche Volkswirtschaften gibt, die für sich ganz andere Entscheidungen getroffen haben und für die die Reduktion der Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Bevölkerung schon jetzt in großen Zahlen vorherberechnet werden kann. Wenn wir mit Offenheit den Rahmen dafür schaffen, dass wir wirtschaftlich wachsen können, dann haben wir etwas richtig gemacht.
Das dritte Thema ist der Investitionsstau, und das muss man natürlich bei Banken ansprechen. Den gehen wir an und setzen Mittel gezielt dort ein, wo das Wirtschaftswachstum auslöst. In diesem Jahr sind das insgesamt über 100 Milliarden Euro.
Die Investitionsquote des Bundes aus dem Bundeshaushalt liegt bei fast 15 Prozent und damit doppelt so hoch wie noch unter der Vorgängerregierung im Jahr 2021, und das trotz der überall besprochenen und diskutierten Haushaltskonsolidierung ‑ für Glasfaserleitungen, für die Erneuerung der Schienen, bessere Straßen und neue Brücken, für Programme, mit denen ein flächendeckendes Ladesäulennetz, der Wasserstoffhochlauf, die Transformation von Industrieprozessen, energetische Gebäudesanierung oder Mikroelektronik gefördert werden, und für die Förderung der Schlüsseltechnologien der Zukunft.
Neben technologischer Souveränität und Wertschöpfung liegen in den Ansiedlungen, die wir so ermöglichen, immer auch große Chancen für die jeweilige Region, für Start-ups, für die Bauwirtschaft und das Handwerk, für den ganzen Mittelstand, und zwar nicht nur in den klassischen Schwerpunktregionen, sondern auch im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein, in Alzey in Rheinland-Pfalz oder in der Lausitz.
Wie attraktiv Zukunftsinvestitionen in Deutschland sind, zeigt sich an den ausländischen Investitionsprojekten in unserem Land, die Germany Trade & Invest gemeldet wurden. Demnach sind 2023 sogenannte „Greenfield- und Erweiterungsinvestitionen“ um 37 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, gerade in wichtigen Schlüsselbereichen: bei Halbleitern, Batterien, Software, erneuerbaren Energien, Biotechnologie und Pharma.
Meine Damen und Herren, damit dieser Standort Deutschland sein Potenzial wirklich entfalten kann, muss er natürlich auch ein weltweit wettbewerbsfähiger Finanzstandort sein. Ich habe das vor kurzer Zeit beim Bankentag gesagt und will das gern auch hier bekräftigen, vor einem besonders leistungsfähigen Teil unseres Bankenwesens. – Das war für Sie gedacht!
(Beifall)
Wir setzen uns konsequent dafür ein, den deutschen Kapitalmarkt und die Attraktivität des Finanzstandorts weiter zu stärken. Durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz wird es für Start-ups und Wachstumsunternehmen künftig leichter, privates Kapital für Investitionen zu mobilisieren und innovative Entwicklungen voranzutreiben. Mit dem Wachstumschancengesetz verbessern wir die steuerlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen. Wir verstärken Abschreibungsmöglichkeiten und erhöhen die steuerliche Forschungsförderung.
Damit das nötige Kapital für die Transformation unseres Landes bereitsteht, setze ich mich mit allem Nachdruck für einen leistungsfähigeren Kapitalmarkt ein, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Wir haben auf dem letzten Europäischen Rat vereinbart, dass wir nun endlich substanzielle Fortschritte bei der Vertiefung der europäischen Kapitalmarktunion machen wollen. Emmanuel Macron und ich sind uns einig. Auch das schreiben wir der Europäischen Kommission ins Stammbuch, die nach der Europawahl ihr Amt übernimmt!
Seit Jahren wird die Vollendung der europäischen Kapitalmarktunion in Sonntagsreden beschworen, und wahrscheinlich hat hier jeder und jede schon einmal eine solche gehört. Sobald es aber um konkrete Maßnahmen geht, bröckelt die Unterstützung. Deshalb muss man jetzt einfach loslegen! Ein paar Punkte sind wichtig, die ich nennen will: eine stärkere Harmonisierung der nationalen Insolvenzrechtsregime, gemeinsame Steuerstandards, eine stärkere Harmonisierung der Kapitalmarktaufsicht, die Stärkung des Verbriefungsmarktes zur Finanzierung der Realwirtschaft und die Verbesserung des Zugangs für Privatanleger zu einer breiteren Palette von Finanzprodukten, beispielsweise durch Einführung von europaweiten Spar- und Rentenprodukten.
Meine Damen und Herren, ich will es einfach noch einmal sagen: Das Thema ist viel wichtiger, als immer wahrgenommen wird. Ich habe gerade eine Statistik gelesen, wonach in der letzten Zeit von ungefähr 140 sich entwickelnden „Unicorns“ mehr als 40 aus Europa weggewandert sind, weil sie die Equity-Finanzierung nicht hinbekommen haben, und das, obwohl Geld ohne Ende vorhanden ist. Das heißt, die Frage ist schon ziemlich zentral, ob der europäische Kapitalmarkt in der Lage ist, Wachstumsfinanzierung für Unternehmen zu betreiben, wie das in sehr umfassender Weise zum Beispiel in den USA gelingt. Deshalb darf das kein Thema sein, bei den wir denken: Das kann man ja auch noch machen. – Deshalb ist es auch mit der von mir angesprochenen Rückkehr zum Verbriefungsrecht nicht getan. Das war schon schlimm, was da alles passiert ist. Das, was man nach der letzten Finanzkrise an Veränderungen vorgenommen hat, ist zu weit gegangen. Aber wir brauchen auch eine Finanzierung von wachsenden Unternehmen, und das müssen wir insgesamt gemeinsam hinbekommen, sonst gehen uns jeden Tag Wachstumschancen verloren, und das kann nicht der Staat machen.
Vielleicht darf ich es auch etwas flapsig formulieren: Fast überall in Europa, immer auf ähnliche Weise ‑ auch wir in Deutschland mittlerweile ganz gut ‑, haben wir es mit simuliertem Kapitalismus hinbekommen, dass die Start-up-Finanzierung funktioniert. Da gibt es dann überall Fonds, bei denen der Staat dabei ist, wenn Start-up-Finanzierung stattfindet. Das hat den Markt groß gemacht. Gut so! Aber für die Wachstumsfinanzierung, um die es geht, ist das nicht in gleicher Weise gelungen, und das ist eigentlich auch die originäre Aufgabe des Kapitalmarkts. Wir werden keine Beamten finden, die entscheiden: In dieses Unternehmen muss man investieren. – Das jemand machen, der etwas von der Sache versteht, und deshalb brauchen wir einen leistungsfähigen Kapitalmarkt.
Neben einer Vertiefung der Kapitalmarktunion bedarf es auch einer Vollendung der Bankenunion. Mir ist bewusst, wie zentral das Thema für Sie ist und dass Sie natürlich auch gerne wissen wollen, wie es mit dem Vorschlag einer gemeinsamen europäischen Einlagensicherung weitergeht. Deshalb will ich Ihnen noch einmal ganz klar meine Position sagen: Die Position der Bundesregierung zur Bankenunion und zu EDIS hat sich nicht verändert. Wir sind bereit, eine europäische Rückversicherung für nationale Einlagensicherungssysteme als Teil eines umfassenden Gesamtpakets zu schaffen, jedoch nur unter der Voraussetzung einer weiteren Stärkung des Abwicklungsregimes und einer wirksamen Verhinderung einer übermäßigen Konzentration von Staatsanleihen in Bankbilanzen. Voraussetzung ist auch, und das ist mir besonders wichtig, der Erhalt der Institutssicherung der Sparkassen und Genossenschaftsbanken in Deutschland. Denn in Deutschland und in anderen Mitgliedstaaten haben wir gut funktionierende Sicherungssysteme für kleinere Banken. Diese sollten nicht ohne Not gefährdet werden.
Im Juni 2022 haben wir auf EU-Ebene zum Ablauf eine klare Reihenfolge, eine klare Sequenz vereinbart: Der Fokus liegt zunächst auf der Reform des Krisenmanagementrahmens von Banken. Die Arbeiten zu den verbleibenden Elementen der Bankenunion inklusive EDIS sollen erst im Anschluss daran wieder aufgenommen werden. Der in diesem Zusammenhang jüngst von Abgeordneten des Europäischen Parlaments diskutierte Vorschlag entspricht zum einen nicht der vereinbarten Reihenfolge, und er ist auch inhaltlich unzureichend, da er die Besonderheiten der Institutssicherungssysteme gerade nicht in angemessener Weise berücksichtigt. Deshalb bleibt der Erhalt der Institutssicherung auch unsere Richtschnur bei den Verhandlungen zur Reform des Krisenmanagementrahmens von Banken; Sie können sich darauf verlassen.
Ja, es ist wichtig, Lücken im Rechtsrahmen zu schließen. Die Vorschläge der Kommission sehen allerdings eine sehr weitreichende ‑ aus meiner Sicht an vielen Stellen zu weitreichende ‑ Umgestaltung des bestehenden, bewährten Systems vor. Das hat das Europäische Parlament bei seiner Positionierung nicht hinreichend berücksichtigt, und deshalb müssen wir für Korrektur sorgen. Wir haben uns im Vertrag, der der Bildung meiner Regierung zugrunde liegt ‑ genannt wird das ja Koalitionsvertrag ‑, ganz klar zur Institutssicherung bekannt. Dafür setzen wir uns deshalb als ganze Regierung auch gemeinsam ein.
Meine Damen und Herren, vor 170 Jahren ganz sprichwörtlich aus tiefster Not geboren, stehen die Volksbanken und Raiffeisenbanken heute ganz zentral für das Wohlstandsversprechen unseres Landes, und gleichzeitig helfen Genossenschaftsmodelle auch heute noch Frauen und Männern weltweit, selbstbestimmt ihren Weg aus der Armut zu gehen, ihre Kräfte zu entfalten, wie Friedrich Wilhelm Raiffeisen 1866 formulierte. Nicht umsonst hat Mohamed Yunus für die Umsetzung des Genossenschaftsgedankens in der modernen Entwicklungspolitik 2006 den Friedensnobelpreis erhalten, und nicht umsonst wurde die Genossenschaftsidee 2016 auf Vorschlag Deutschlands als immaterielles Kulturerbe der Menschheit von der UNESCO anerkannt.
Gemeinsam sind wir stärker. Nur gemeinsam! Das ist eine Erfolgsgeschichte aus Deutschland und weltweit, und das ist eine ganz hervorragende Voraussetzung und ein gutes Motto für die Zukunft.
Schönen Dank für die Einladung!