„Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben die ganze Welt in einen Krisenmodus gestürzt, aus dem wir bis heute nicht wieder herausgekommen sind“, konstatierte BAP-Präsident Sebastian Lazay in seiner Begrüßungsrede beim diesjährigen Arbeitgebertag Zeitarbeit des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP) in Berlin. Dieser konnte nach zweijähriger Coronapause erstmals wieder in Präsenz mit über 300 Teilnehmern vor Ort stattfinden. Mehr als 400 weitere Interessenten nahmen zudem via Livestream teil. „Die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs und der Pandemie spüren wir alle. Die Inflation ist so hoch wie seit den 70er-Jahre nicht mehr, Unternehmen können ihre Aufträge mangels Materialien nicht abarbeiten und beinahe täglich werden Wirtschaftsprognosen nach unten revidiert. Dass die Bundesregierung viel dafür unternimmt, die Wirtschaft zu stabilisieren, ist gut und richtig“, betonte Lazay. Und bekräftigte mit Blick auf den Ukraine-Krieg: „Was wir tun können, und einige unserer Mitgliedsunternehmen auch bereits machen, ist, ukrainischen Flüchtlingen Arbeit zu geben. Wir wollen dort helfen, wo diese Hilfe erwünscht ist. Dass gerade die Personaldienstleister in der Lage sind, Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren, haben wir nach dem starken Zustrom von Flüchtlingen 2015/2016 unter Beweis gestellt. Denn wir bringen mit Abstand die meisten dieser Menschen in Lohn und Brot.“ Mit dem sich immer weiter zuspitzenden Fachkräftemangel ging Lazay auf eine weitere zentrale Herausforderung ein, die „der gesamten deutschen Wirtschaft unter den Nägeln brennt und in manchen Regionen schon ein Personalmangel ist.“ Zwar könnten Robotik und Künstliche Intelligenz eine Reihe von Arbeitsaufgaben abnehmen, doch dies werde nicht ausreichen, um das Schrumpfen der Erwerbsbevölkerung aufzufangen. Um „das Arbeitskräfteangebot langfristig konstant zu halten, bräuchten wir laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) eine jährliche Nettozuwanderung von 400.000 Personen. Diese Zahlen zeigen: Das Thema muss und wird uns noch sehr intensiv beschäftigen“, bekräftigte Lazay.
„Zeitarbeit ist ein stabiler Faktor für den Arbeitsmarkt in Deutschland“
„Die Bundesagentur für Arbeit und die Zeitarbeit haben eine ganz wesentliche gemeinsame Schnittstelle: Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, denen der Zugang dorthin oftmals schwerfällt“, betonte Andrea Nahles, designierte Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA) und ehemalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales, in ihrer anschließenden Keynote. Dieses Engagement der Personaldienstleister werde seitens der BA sehr wertgeschätzt. Dabei „haben wir gemeinsam mit der Zeitarbeitsbranche bereits wichtige Projekte auf digitaler Ebene umgesetzt. Das Drei-Stufen-Qualifizierungsmodell des BAP ist ein gutes Beispiel dafür, denn es führt Menschen zu einem Berufsabschluss. Danke, dass sie Menschen so für Weiterbildung begeistern“, stellte Nahles heraus. Ebenso vorbildlich sei auch die in der Modellregion Nürnberg als Pilotprojekt gestartete „Qualifizierungsoffensive Personaldienstleister 2022“ mit dem Ziel der Schaffung eines beispielhaften regionalen Qualifizierungsverbundes für die Zeitarbeit. Durch solch vielfältiges Engagement habe es die Branche geschafft, ihr Image in den vergangenen Jahren massiv zu verbessern. Daher sei „die Zeitarbeit ein vernünftiger Partner für die Politik und ein stabiler Faktor für den Arbeitsmarkt in Deutschland.“
Mit Blick auf den Fachkräftemangel in Deutschland erläuterte Nahles, dass sich dadurch auch die Rolle der BA spürbar verändert habe. „Denn wir drehen zunehmend an der Drehscheibe zur Fachkräftegewinnung mit. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Arbeit zusammen mit den IHKs und Arbeitgeberverbänden direkt vor Ort.“ Dabei gebe es den perfekten Bewerber immer seltener, stattdessen gewinne „Learning on the Job“ immer weiter an Bedeutung. Dringend notwendig sei auch die zunehmende Akquisition von Fachkräften aus Drittstaaten. Dabei habe „die Zeitarbeit aus meiner Sicht gute Argumente dafür, dass auch sie diese Arbeitskräfte künftig einsetzen kann“, bekräftigte Nahles.
„Wir werden das Geschäftsmodell Deutschlands neu überdenken müssen“
Ein weiterer Höhepunkt des diesjährigen Arbeitgebertages war der Vortrag von Joschka Fischer, Bundesaußenminister und Vizekanzler a.D. Mit Blick auf die Konferenzthemen erläuterte er zunächst einleitend: „Das eigentliche Problem ist doch: Die Deutschen sind zu wenig geworden. Mit Bordmitteln werden wir den Fachkräftemangel also nicht lösen. Jetzt ist die Zeit der Veränderung gekommen und diese Chance darf in keiner Branche vertan werden. Zudem müssen wir aufholen in der Digitalisierungsfrage und uns nicht abhängen lassen. Sonst zahlt Deutschland dafür im 21. Jahrhundert einen bitteren Preis.“ Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine bekräftigte Fischer, dass dieser „eine tiefe Zäsur für unser Land darstellt. Die Zeit, in der wir uns keine Gedanken über Sicherheitsfragen machen mussten, ist zu Ende gegangen. Es gibt auch kein Zurück. Fakt ist: Deutschland wird sich dauerhaft verstärkt um die Sicherheit Europas kümmern müssen.“ Das Problem sei dabei, dass Deutschland derzeit nicht verteidigungsfähig sei. Aber „das muss anders werden und das wird jetzt auch anders werden.“ Denn der Krieg habe nicht nur die europäische Friedensordnung mit offenen Grenzen zerstört, sondern die gesamte Weltordnung. Zudem zeige der Krieg auf bittere Art und Weise, dass „wir verlernt haben, strategisch geopolitisch zu denken. Dadurch sind wir in eine fatale Abhängigkeit von Russland und seiner Energie geraten.“ Die Folge sei klar: „Wir werden das Geschäftsmodell Deutschlands neu überdenken müssen. Wir dürfen uns bei der Energie nie wieder so abhängig machen und müssen in neue Technologien investieren!“ Dadurch würden Deutschland und Europa vor gewaltigen Veränderungen stehen, die aber auch eine enorme Chance seien. Denn „jetzt werden die Weichen für das 21. Jahrhundert gestellt. Wenn wir strategisch denken und technologisch aufwachen, ist es die Chance, dass Europa endlich erwachsen wird!“