Zu Beginn des Jahres 2024 verzeichnet der Milchmarkt Licht und Schatten“, wie Peter Stahl, Vorsitzender des Milchindustrie-Verbandes anlässlich des 14. Berliner Milchforums feststellt. Die Erzeugerpreise bewegen sich auf einem historisch hohen Niveau, die erzeugten Milchmengen entsprechen etwa denen des Vorjahres. Den Absatzmärkten fehlt es aktuell an Impulsen, nur Butter und Käse zeichnen sich durch eine gute Nachfragesituation aus. Nachdenklich machen die zunehmenden politischen Forderungen zur Umsetzung des Artikels 148, die Ideen zur Regulierung der Weidehaltung, zur Entwaldungsfreiheit und zum Lieferkettengesetz. Am Ende münden diese alle in einem Mehr an Bürokratie, ohne ein Mehr an Wertschöpfung zu erbringen.

Sorge bereitet vor allem die Entwicklung um den Artikel 148 der GMO. Nach der Sommerkonferenz 2023 des Bundeslandwirtschaftsministeriums legte das BMEL nun Mitte März 2024 ein Ergebnisprogramm vor. Darin ist vorgesehen, dass die Vertragsbeziehungen zwischen Milcherzeugern und -verarbeitern gesetzlich neu geregelt werden, und zwar auf Grundlage des alten EU-Rechtes aus dem Jahr 2013. Das jetzige Vorhaben wird aber nicht von der großen Mehrheit der Milcherzeuger Deutschlands getragen – außerdem kam die erwähnte Sommerkonferenz zu ganz anderen Ergebnissen. Das aktuelle Papier ist also nicht konsensfähig. „Als MIV können wir nicht nachvollziehen, woher die Begründung für weitere Eingriffe in die Marktordnung kommen soll“, bekräftigt Peter Stahl seine Haltung zu diesem Punkt.

Ebenfalls kritisch sieht der Verband, das Thema Weidemilch gesetzlich zu regeln und nicht auf die in der Praxis funktionierenden Lösungen der Branche zurückzugreifen. Für Weidemilch sind Rinder an wenigstens 120 Tagen für mindestens sechs Stunden auf der Weide. Diese Definition wurde nicht zuletzt gerichtlich bestätigt. Jetzt will die Bundesregierung diese Definition aber verschärfen. Vorgesehen sind u. a. Mindestfutterflächen und Kontrollen. „Deutschland muss in diesem Punkt keinen nationalen Alleingang unternehmen, in Europa gibt es dazu keine Regelung“, äußert sich der MIV-Vorsitzende. „Das ist unnötiger bürokratischer Aufwand und geht an der Realität vorbei.“, so die Kritik.

Weidemilch erfreut sich zunehmender Beliebtheit innerhalb der Milchbranche und beim Verbraucher, dies zeigen die Absatzentwicklungen der letzten Jahre im LEH. Während der Konsummilchmarkt seit mehreren Jahren nicht nur in Deutschland leidet, steigen die Absatzzahlen bei der Weidemilch auf über 11 Prozent am Markt für Konsummilch. Für 2023 wurde mit rund +36 Prozent fast das Dreifache der Steigerung im Bereich pflanzlicher Drinks erreicht.

Das Kaufinteresse der Konsumenten hat sich in Krisenzeiten insgesamt verschoben. Die Verbraucher sparen bei Lebensmitteln, weil sie auch durch Inflation und hohe Energiepreise nicht mehr so viel Geld in der Tasche haben. In der Folge stehen einige Produkte unter Druck, die Chancen liegen im Fettbereich. Die Verbraucher schauen in solchen Krisenzeiten eher auf den Preis. Dies gilt auch für den internationalen Markt, wo der Export von Milch und Milchprodukten bei knappen Beständen zuletzt an Dynamik verloren hat. Zum einen hat China seine Eigenproduktion im vergangenen Jahr deutlich ausgeweitet, zum anderen passte Neuseeland sein Produktportfolio an und hat gleichzeitig Vorteile aufgrund von verschiedenen Handelsabkommen.

Unabhängig vom Kaufverhalten raten die Experten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zu weniger Konsum von tierischen Lebensmitteln. Insgesamt sollen drei Viertel des Tagesbedarfs mit pflanzlichen Produkten gedeckt werden. Ernährungswissenschaftlich bekommt die DGE starken Gegenwind, weil die Milch ein wichtiger Lieferant von hochwertigem Eiweiß und von essenziellen Amino- und Fettsäuren ist. Die DGE-Empfehlungen treffen nicht die Gewohnheiten der Verbraucher und auch die gesundheitlichen Ausgangslagen der Menschen unterscheiden sich. Präventionsmediziner warnen sogar davor, dass das Einhalten der Empfehlungen zu einer Ernährungsmangellage führen kann.

Zeitenwende, das Thema des diesjährigen Milchforums, bedeutet nicht zuletzt, sich anzupassen, flexibel zu sein und neue Wege zu finden, um gemeinsam zu wachsen. Die Welt wird immer komplexer, alles hängt mit allem zusammen. „Gesunde Ernährung ist wichtig, genauso wie Klimaschutz und Tierwohl. Die Anforderungen an die Unternehmen steigen. Der Politik muss dabei klar sein, dass die Menschen in den Unternehmen nicht überfordert werden dürfen, sie muss einen Weg finden, damit auch die Lebensmittelwirtschaft in Deutschland eine Perspektive hat“, fasst Peter Stahl das Branchentreffen zusammen.

Bewegte Zeiten in der Milchwirtschaft: Wie stellen wir die Weichen für die Zukunft?

 

Als jährlicher Branchentreff bietet das Berliner Milchforum auch 2024 Vertretern aus Praxis, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik die Bühne für Diskussion und Vernetzung. Die 14. Auflage des Milchforums steht unter dem Titel Zeitenwende. Im Zentrum stehen neben aktuellen agrarpolitischen Vorhaben wie der Novelle des Tierschutzgesetzes und der Bedeutung des ländlichen Raums auch die Frage, wie Milchviehhalterinnen und -halter in Zukunft rentabel wirtschaften können. DBV-Vizepräsident Karsten Schmal führt mit Bezug auf den Titel der Veranstaltung aus: „Die aktuelle Lage in der Milchwirtschaft ist insgesamt von großer Unsicherheit geprägt. Auch wenn der Markt sich insgesamt gerade ruhig verhält, wir stehen vielfältigen Herausforderungen gegenüber. Sei es bedingt durch steigende Anforderungen bei Tierwohl und Klimaschutz, durch sich wandelnde Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher oder die schlichtweg überbordende Bürokratie, die das Wirtschaften erschwert. Die Frage nach der Zukunft hat sich noch nie so aufgedrängt und die Politik bleibt Antworten schuldig.“

Nach wie vor werde keine langfristige Perspektive für den Umbau der Nutztierhaltung für ein Mehr an Nachhaltigkeit und Tierwohl geschaffen. Schmal: „Wir brauchen von der Politik ein klares Bekenntnis zur heimischen Nutztierhaltung. In diesem Jahr werden wir zum ersten Mal weniger als 50.000 milchviehhaltende Betriebe in Deutschland haben, der Milchkuhbestand ist Ende letzten Jahres auf das niedrigste Niveau seit der Wiedervereinigung gesunken. Der Strukturwandel bereitet der Branche große Sorgen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Novelle des Tierschutzgesetzes und der Passivität im Bereich Tierwohlfinanzierung, muss man sich jedoch fragen, ob so ein Bekenntnis überhaupt glaubwürdig wäre.“ Unter den Haupt-Initiatoren der Veranstaltung, Milchindustrie Verband e.V. und Deutscher Bauernverband e.V., ist man sich einig: Die Branche hat sich schon lange auf den Weg gemacht. Mit eigenen Initiativen wie der Sektorstrategie 2030 der Deutschen Milchwirtschaft oder dem Ausbau von Milchpreis-Absicherungsmodellen wurden wichtige Schritte gegangen. Die Zukunftsfrage müsse auch auf politischer Eben endlich aktiv angegangen werden. Schmal: „Raus aus dem Streit-Modus, das erwarte ich von der Ampel-Regierung. An die jungen Leute denken und flexible, praxisgerechte Lösungen fördern. Dann gelingt die nachhaltige Entwicklung der Milchwirtschaft am Standort Deutschland.“

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