Marlehn Thieme, Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE), hat am Vormittag die 16. Jahreskonferenz des Rates in Berlin eröffnet. „Wir müssen über Nachhaltigkeitsstrategien reden, in der ganzen Breite des Themas“, so Thieme. „Natürlich ist es oft klarer und zupackender über die Herausforderung der Dekarbonisierung zu reden, oder über eine gerechtere Finanzierung von Entwicklung. Aber Nachhaltigkeit meint eben nichts weniger als das Ganze.“

Marlehn Thieme betonte, dass Nachhaltigkeitspolitik nicht auf den Umweltaspekt reduziert werden darf, so wichtig die ökologischen Grenzen für die Lebensgrundlagen der Menschen auch seien: „Nachhaltigkeitspolitik umfasst Umwelt, Wirtschaft, Soziales. Schon gar nicht ist sie nur eine Abwägungsformel, bei der die Umwelt das Nachsehen hat und auf den zweiten Platz kommt.“

Der Rat
Dem Rat für Nachhaltige Entwicklung gehören 15 Personen des öffentlichen Lebens an, die von der Bundeskanzlerin für eine Mandatszeit von drei Jahren berufen werden. Zu den Aufgaben des Rates gehören die Entwicklung von Beiträgen zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die Benennung von konkreten Handlungsfeldern und Projekten sowie Beiträge, um Nachhaltigkeit zu einem wichtigen öffentlichen Anliegen zu machen. In der Wahl seiner Themen und Aktionsformen ist der Rat unabhängig. Ergebnisse aus der laufenden Arbeit sind zum Beispiel der Deutsche Nachhaltigkeitskodex, Stellungnahmen zu den Globalen Nachhaltigkeitszielen, zur Klimapolitik, zur Rohstoffpolitik und zur fiskalischen Nachhaltigkeit, zum Ökolandbau, die zivilgesellschaftlichen Projekte der Werkstatt N, der Strategiedialog zur nachhaltigen Stadtentwicklung mit Oberbürgermeistern, die Impulse Jugendlicher und junger Erwachsener zur kommunalen Nachhaltigkeit und zur deutschen Nachhaltigkeitspolitik sowie Beiträge zur „Green Economy“.

 
Marlehn Thieme Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung

Rede zur Begrüßung der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in der 16. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung am 31. Mai 2016, Berlin

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Frau Merkel,
herzlichen Dank für Ihr Kommen.
Ich hoffe, Ihr Besuch bei uns wird Sie stärken. Er wiederholt sich jährlich, aber ist auch heute keine Routine. Später am heutigen Tag entscheiden Sie mit den Ministerpräsidenten der Länder über die Erneuerbaren Energien. Das ist eine wichtige Sache. Erneuerbare sind eine gesamtstaatliche Innovation und dürfen nicht zur regionalen Beute von spezifischen, noch so gut gemeinten Industriewünschen werden. Wie gut, dass es eine Nachhaltigkeitsstrategie gibt. Deren Anliegen ist, wie ich es sehe, die gesamtstaatliche Kohärenz. Für mich ist die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung aus zwei Gründen spannend. Erstens, weil sie zeigt, wie es um die inhaltliche Kohärenz der Politik steht. Der zweite Grund ist allerdings viel wichtiger. Für mich ist die Strategie ein Gradmesser für politische Verantwortung. Sie ist ein Barometer. Sie zeigt, was einzelne Stichworte wie Dekarbonisierung wirklich zählen. Die vielen Gespräche, die ich für den Nachhaltigkeitsrat mit allen Teilen der Gesellschaft und der Wirtschaft führe, vermitteln mir den Eindruck, dass die Gesellschaft diese Strategie als Referenz braucht, auch wenn sie oft nicht selbst zitiert oder benannt wird. Sie wird benutzt als Maßstab für Veränderungsbereitschaft. Hierzu liefert die Strategie schon Ansatzpunkte, aber das ist weit unterhalb dessen, was nötig ist und auch noch nicht das, was immerhin schon möglich wäre. Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, wir sind gespannt auf Ihren Entwurf einer neuen Nachhaltigkeitsstrategie. Vor mehr als eineinhalb Jahren haben wir auf Bitten von Bundesminister Peter Altmaier die Wirkung der universellen Nachhaltigkeits-Agenda 2030 auf Deutschland bewertet. Unsere Empfehlung haben wir als zivilgesellschaftliche Plattform erstellt. Sie haben sie zur Grundlage der Fortschreibung der Nachhaltigkeitsstrategie gemacht und einige Anregungen direkt übernommen. Es ist gut, dass Sie mit anderen Regierungschefs in der Gruppe der Neun die Governance zur Nachhaltigkeit vorantreiben. Es ist gut, dass Sie die Europäische Karte spielen. Wir profitieren am meisten vom Euro, also haben wir die Verpflichtung, Maßstäbe zu setzen für Solidarität und gemeinschaftliche Zukunftsverantwortung. Solidarität ist immer ein Handeln auf Gegenseitigkeit. Wo es einseitig ist, wird es engstirnig und letztlich falsch. Das sehen wir bei den Befürwortern des Brexit. Die richtige Antwort auf den Brexit und den Separatismus anderer EU Regierungschefs wäre eine radikale EUNachhaltigkeitsstrategie. Wir Deutsche wissen es doch noch allzu gut: Menschen fliehen eben nicht nur wegen individueller Verfolgung, sondern vor allem aus unerträglichen Lebensbedingungen. Flucht bleibt dennoch Flucht. Sie widerspricht der Menschenwürde. Was wir brauchen ist ein europäisches Zuwanderungsrecht. Europa muss dieses Recht schaffen, um in Zukunft rechtschaffend leben zu können. Auch national brauchen wir einen instrumentell und institutionell veränderten Blick auf die Zukunft. Auf Freiheit in den planetarischen Umweltgrenzen. Auf Solidarität in der großen Transformation. Auf unseren eigenen Anteil an den Missständen in der Welt, sei es durch falschen Konsum oder durch Waffenexporte. Auf den positiven Effekt von Vorreiterinitiativen. Auf die dringend nötige Ertüchtigung der sozialen Marktwirtschaft. Das ist viel und das Viele erwarten wir von einer Strategie. Dafür steht der Nachhaltigkeitsrat als eine zivilgesellschaftliche Plattform, die Empfehlung an Dritte mit dem eigenem Handeln und eigenen Projekten verbindet. Die Unterschiede der Mitglieder nähren neues Denken und schaffen die Möglichkeit, auch dort zum Konsens zu kommen, wo dies sonst nicht möglich ist. Aber erst der beiderseitige Gestaltungswille zwischen Regierung und Rat und die gute Geschäftsführung machen die Wirkung aus. Sehr geehrte Frau Merkel, wir freuen uns auf Ihre Rede.

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Von admin

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