Mit „The Sun Machine Is Coming Down“ öffnen die Berliner Festspiele das seit Jahren stillgelegte Internationale Congress Centrum (ICC) für zehn Tage und beleben mit nationalen und internationalen Künstler*innen die futuristische Architekturikone von 1979 mit neuer und adaptierter Kunst der Bereiche Performance, Artistik, Musik, Film und Installation.

Das von Thomas Oberender initiierte und im Team kuratierte Projekt folgt dem Prinzip der Simultaneität; so wie es der architektonische Entwurf von Ursulina Schüler-Witte und Ralf Schüler für das Kongressgebäude vorgesehen hat. Besucher*innen erleben das gigantische Gebäude während ihres 3,5-stündigen Besuchs frei und erkunden temporäre – angekündigte oder spontan entstehende – Elemente des Live-Art-Programms sowie permanent stattfindende Screenings, Konzerte und Installationen.

 

Zum permanenten Programm zählen das im Loop gezeigte Screeningprogramm der Julia Stoschek Collection im größten Saal 1: Die zwischen 1978 und 2018 entstandenen Arbeiten befragen Verhältnisse des Menschen zum eigenen Körper und dessen Position in sozialen Gefügen. Ob als hyperrealer Avatar bei Ed Atkins oder als Tänzer*in in den Straßen Guangzhous bei Cao Fei, die Akteur*innen der ausgewählten Videoarbeiten eint der Glaube an die Widerstandskraft, die sich in einfachen, poetischen Gesten verbirgt. Ebenfalls permanent bespielt ist der Kinosaal 3, dessen Kunstfilmprogramm anlässlich des Jubiläums einen Einblick in 70 Jahre Festspielgeschichte gibt. Aus rund 1000 Stunden Filmmaterial öffentlicher und privater Archive restaurierten Thilo Fischer und David von der Stein über fünf Stunden in Bild und Ton und montierten drei Videoarbeiten, die Nachrichten, Diskurs und Kunst zusammenbringen. Außerdem kuratiert Thilo Fischer ein Kinoprogramm mit Aufzeichnungen von außergewöhnlichen Konzerten, Aufführungen, Aktionen, Reportagen, Gesprächen und Filmen in voller Länge. Ebenso nahezu durchgängig programmiert ist Saal 2, in dem Musikkurator Martin Hossbach mit internationalen und in Berlin ansässigen Musiker*innen – darunter Alexis Taylor, Nazanin Noori, The White Screen, Rosaceae und Tegel Media – in einem erweiterten Musikprogramm aus Konzerten und Lecture Performances die Vereinbarkeit von Architektur und Klang im ICC erprobt.

 

Im unteren Foyer leiten bildkünstlerische und akustische Installationen den Weg ins ICC. Dort füllt Markus Selg zehn Glasvitrinen mit Szenerien zukünftiger und archaischer Realitäten, die in Lichtchoreographien und Klangwelten der Soundinstallationen von Richard Janssen in den großen Raum hineinfließen. Mit der Erprobung biodiverser Formen des Zusammenlebens ist die seit 2018 aktive, selbstorganisierte Gruppe Floating University Berlin diskursprägend. Sie verlagert ihre Gesprächs- und Ideenkultur mit verschiedenen Talk-Formaten ins obere Foyer des ICC, während die vom Studio Tomás Saraceno initiierten Spider Walks den Blick für das an den Rand gedrängte Leben öffnen. Hier klingt die Verbindung von vorhandenem Wissen mit neuen Bedürfnissen an – ein Schwerpunkt, den auch die Künstler*in Joulia Strauss mit Skulpturen, Installationen und diskursiven Séancen auf das Weiterdenken der Medientheorie ihres berühmten Lehrers Friedrich Kittler setzt. Sie wird gemeinsam mit weiteren Weggefährt*innen zu Ehren seines zehnten Todestages in Saal 6 täglich terminierte Séancen als Seelenreisen zu Friedrich Kittler mediieren.

 

Künstliche und menschliche Intelligenzen verbinden sich in Monira Al Qadiris permanent zugänglicher Installation im Mittelfoyer mit drei kinetischen Büsten, deren AI-Stimmen von bizarren Erlebnissen und Träumen der Künstlerin während der Corona-Pandemie berichten. Die Grenze zwischen Groteskem und Zauberhaftem zelebriert auf der anderen Seite des oberen Foyers auch Ayaka Nakama in der botanischen Welt ihres vierstündigen Solos „Freeway Dance“, in der ihre bei Freunden und Familie gesammelten, frühesten Erinnerungen an tänzerische Erlebnisse zur Verkörperung des Tanzes selbst werden.

 

Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Künste aus dem Bereich des Tanzes und des Circus, letztere kuratiert von Wolfgang Hoffmann. Performances im Wasserzylinder und Chi Gong auf dem Vorplatz des ICC im Verkehrsknotenpunkt Messedamm; repetitive Zirkusübungen und tanzendes Polystyrol auf dem denkmalgeschützten 70er Jahre Teppich in der ICC Lounge des Foyers; Balancieren an einem Bogengerüst unter der maschinell beweglichen, tonnenschweren Tribühnenanlage des Saal 2: Chloé Moglia, Jörg Müller, Darragh McLoughlin und Andrea Salustri sowie auch Alexander Vantournhout, Grace Ellen Barkey und Tino Sehgal deuten durch Gegengesten die Räumlichkeit um. Der Raum ist dabei die Grundbedingung dieser körperpoetischen und zirzensischen Narrative. Dabei spielen sie mit Zuständen, die immerzu vom Scheitern bedroht sind – das Fliegen, der Traum, die Leere, die Verwandlung, die Täuschung, die Transposition.

 

Mit Arbeiten von Monira Al Qadiri & Raed Yassin, Arachnophilia & Studio Tomás Saraceno, Ed Atkins, Grace Ellen Barkey / Needcompany, Dara Birnbaum, Bruno Eap, Rainer Werner Fassbinder, Cao Fei, Floating University Berlin, Cyprien Gaillard, Barbara Hammer, Arthur Jafa, Richard Janssen, Ilya Khrzhanovsky & Ilya Permyakov, Scott King, John Carroll Kirby, Lawrence, Gordon Matta-Clark, Darragh McLoughlin, Chloé Moglia, Jörg Müller, Ayaka Nakama, Nalan, Nazanin Noori, Ulrike Ottinger, James Richards & Leslie Thornton, Rosaceae & Natascha P., Rachel Rose, Andrea Salustri, Tino Sehgal, Markus Selg, Joulia Strauss, Alexis Taylor, Tegel Media, Unguarded, Alexander Vantournhout / not standing, WangShui, The White Screen u. v. a.

 

Das gesamte Programm findet sich hier: berlinerfestspiele.de.

Von admin